Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
sprechen: „Wie lange? Wie lange würde es dauern, das Heer zu sammeln und nach Ariana zu marschieren?“
Dieses Mal antwortete Sibelius ohne das geringste Zögern und Laurent erkannte, dass er darüber schon lange nachdachte: „Morgen könnte ich die Herolde ausschicken. Wir brauchen sicherlich sechzehn Tage, wollen wir mit unserer ganzen Stärke zuschlagen. Außerdem sollten wir den Fürsten von Cialla-Andra benachrichtigen. Möglicherweise unterstützt er uns. Am fünfundzwanzigsten Tag des Monats könnten wir aufbrechen und innerhalb von sieben Tagen Ariana erreichen. Drei weitere Tage bis zur Grenze von Aquanien. Insgesamt sind es sechsundzwanzig Tage.“
„Sechsundzwanzig Tage“, wiederholte Laurent, „eine lange Zeit.“
Sibelius zuckte mit den Schultern: „Schneller schaffen wir es nicht. Seit dem letzten Kampf sind immerhin vierhundert Jahre vergangen und Ihr habt befohlen, die Armee bis auf die königliche Garde aufzulösen.“
Laurent ignorierte diese offene Kritik: „Nun gut“, er atmete tief durch, bevor er ohne Zögern weitersprach, „schicke die Boten los. Jeder Kandari, der fähig ist zu kämpfen, soll sich am vierundzwanzigsten Tag des zweiten Monats in Anaiedoro einfinden. Wir werden in den Krieg ziehen und das alte Bündnis mit den Anorianern erneuern.“
Laut und mit verblüffender Endgültigkeit hallten diese Worte durch den leeren Thronsaal. Sibelius verneigte sich tief und verschwand ohne ein weiteres Wort und Laurent blieb allein zurück.
„Was immer auch geschehen mag“, flüsterte er in die Leere, „so besiegele ich also das Schicksal meines Volkes. Ist es das, was du wolltest, Larenia? Einst habe ich dein Vertrauen missbraucht und dir den Glauben an deine Ideale genommen. Jetzt opfere ich mein Lebenswerk und meine Hoffnungen, um dir zu helfen. Ich habe meine Schuld beglichen. Wir sind quitt.“
Der König der Kandari schloss die Augen und stützte seinen Kopf schwer in beide Hände, als erdrücke ihn die Last der Verantwortung.
Unbeeindruckt vom Staub, der Mittagshitze und der gleißenden Wüstensonne stand Valerian auf den Mauern der Akademie. Fünf Tage waren seit dem Beschluss des Königs, in den Krieg zu ziehen, vergangen und in diesen Tagen hatte er das Kommen und Gehen in Anaiedoro beobachtet. Er wartete.
Bisher hatte Laurent nicht entschieden, was mit den Bewahrern geschehen sollte. Wahrscheinlich hoffte der König, dass sich dieses Problem von allein lösen würde und eine Weile sah es tatsächlich so aus. Einige waren geflohen aus Angst vor Laurents Zorn. Aber Valerian wusste es besser. Laurent lag mehr am Frieden in seinem Königreich als an seiner Rache. Zudem waren ihre Pläne in den Augen des Volkes gescheitert. Niemand schien zu denken, dass von den Bewahrern noch die geringste Gefahr ausging. Nun, sie irrten sich.
Hoch über den Dächern der Stadt stand Valerian in gelassener Haltung und lachte, ein eisiges, siegessicheres Lachen, das sein gut aussehendes Elfengesicht verzerrte. Sie glaubten wirklich, die Bewahrer seien so leicht zu schlagen? Vielleicht hatten sie verloren, doch keine Niederlage währte ewig. Er konnte warten. Was bedeuteten hundert Jahre, fünfhundert, ein ganzes Jahrtausend, wenn man die Ewigkeit vor sich hatte? Die Bewahrer planten in größeren Zeiträumen. Dank Arthenius, diesem gutgläubigen Narren, hatte Valerian nichts zu fürchten. Arthenius sah nur, was er sehen wollte, und wegen einer alten Freundschaft verschloss er die Augen vor dem wahren Charakter seines einstigen Freundes. In dieser Hinsicht war er immer ein Dummkopf gewesen und ausgesprochen leicht zu durchschauen, so überlegte Valerian nüchtern, allerdings ein nützlicher Dummkopf. Mit einer einmaligen telepathischen Begabung, und, was für die Bewahrer noch wertvoller war, er hatte Larenias Vertrauen gewonnen. Mehr noch, sie vertraute ihm bedingungslos und würde sein Urteil nicht anzweifeln. In mehr als tausend Jahren war Larenia die einzige ernst zu nehmende Gefahr für die Pläne der Bewahrer gewesen. Bei ihr waren sie zu weit gegangen, das wusste Valerian, aber selbst das spielte keine Rolle mehr. Die Zeit der großen Könige war vorüber. Die Nächste in der Erbfolge war Anila, und sie hatte dem Einfluss der Bewahrer nichts entgegenzusetzen. Alles, was er tun musste, war, beobachten und den Dingen ihren Lauf lassen.
Valerian blickte in den klaren Himmel. Er sonnte sich in seiner Selbstgefälligkeit, im Glanz und in der Glorie der Bewahrer, die, da war er
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