Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
Roxana und Sibelius gesprochen. Die Heerführer der Kandari“, fügte sie an Julius und Julien gewandt hinzu, „doch selbst wenn sie Laurent überzeugen könnte und er sich bereit erklären würde, zu handeln, könnten sie uns frühestens in zwei Monaten helfen.“
„Zwei Monate!“, rief Julien aus. Sein Gesichtsausdruck wechselte von Schock, Entsetzen und Unglauben zu Wut.
„In zwei Monaten wird von Anoria nicht mehr viel übrig sein.“
„Ihr wisst wenig über Hamada und die Kandari“, Philipus sprach ernst, beherrscht und ohne jeden Vorwurf, „es steht euch nicht zu, sie zu verurteilen.“
Damit gingen sie und ließen Julien und seinen Sohn verstört und besorgt zurück. Es war inzwischen früher Nachmittag. Wachen und Höflinge warteten bereits vor dem Thronsaal und drängten jetzt herein. Der Mantel aus Stille, der den ganzen Vormittag den Saal eingehüllt hatte, zerriss.
Julius erzählt:
Wenn ich mich heute an diese Zeit erinnere, kann ich kaum glauben, wie naiv ich damals war. Nach der ersten Schlacht glaubte ich, der Krieg sei vorüber. Tatsächlich konnte ich mir nicht vorstellen, wie es weitergehen sollte. Dann kam das Fest und jeder Kummer, alle Ängste schienen an Substanz zu verlieren. Inmitten all des Frohsinns, der Musik, der lachenden Menschen konnte ich mir keine Zukunft mit Kämpfen und Schlachten, mit Leid und Tod ausmalen.
Umso härter traf mich die Erkenntnis, dass es nicht das Ende war. Dass es ganz im Gegenteil erst begann.
Die Begegnung mit den Brochoniern erschreckte mich. Sie waren wie wir, Menschen, wie man sie überall in Anoria finden konnte. Fehlgeleitet vielleicht, voller Hass und Grausamkeit. Und ich fragte mich, wozu ich fähig wäre. Steckte in mir die gleiche Böswilligkeit, der gleiche Zorn?
Bis heute habe ich darauf keine Antwort gefunden.
Allerdings hatte ich gesehen, wozu Larenia fähig war. Längst hatte ich erkannt, dass die Kandari nicht die übermenschlichen Wesen waren, für die ich sie einst gehalten hatte. Aber die Kälte und Erbarmungslosigkeit, die Larenia manchmal an den Tag legte, entsetzten mich. Und nun waren wir abhängig von den Gildemitgliedern und den Kandari, die wahrscheinlich noch nichts von unserer Notlage wussten. Ich versuchte, den Gedanken an weitere Schlachten zu verdrängen. Allerdings war ich darin nicht sonderlich erfolgreich.
Am nächsten Morgen fand der Kriegsrat der Fürsten von Anoria statt. Es wurde nur wenig gesprochen. Mein Vater erklärte ihnen, was wir gestern erfahren hatten und was es für Anoria bedeutete. Niemand verspürte den Wunsch, lange zu diskutieren. Ciaran und Cordac brachen noch am Nachmittag des gleichen Tages auf. Pierre ritt zuerst mit dem Firanier-Fürsten nach Finnroy, um dann weiter nach Dalane zu reisen.
Auch in Arida ging das Leben weiter. Es war sehr still in der Stadt der Könige geworden, nachdem auch Logis und Eugen in ihre Heimat zurückgekehrt waren. Jeder, der die Möglichkeit hatte, war geflohen. Alle, die nach der ersten Schlacht zurückgekehrt waren, hatten nun begriffen, dass es hier keine Sicherheit geben würde. Nur die Soldaten blieben. Die Menge derer, die auf Geheiß des Königs zu den Waffen greifen mussten, wuchs jeden Tag. In Scharen zogen sie nach Arida und Askana. Die Waffenschmiede arbeiteten Tag und Nacht, um alle zu bewaffnen.
Allerdings stellte uns das ständig wachsende Heer vor ein neues Problem, das ich nicht vorausgesehen hatte. All diese Menschen wollten essen. Sie brauchten Kleidung und einen Platz zum Schlafen. Für uns gestaltete sich besonders die Ernährung schwierig. Meine Aufgabe war es, die Kriegssteuer einzutreiben und darauf zu achten, dass alles richtig verteilt wurde. Nach kurzer Zeit begann ich, meine neuen Pflichten zu hassen. Nachdem wir der Bevölkerung ihren Frieden und ihre Familien genommen hatten, raubten wir ihnen auch noch ihre Lebensgrundlage.
So vergingen die nächsten elf Tage, in denen ich ständig Ausschau nach einem Boten hielt. Doch es kam keine Botschaft. Und als wir endlich die Nachricht, auf die wir so lange gewartet hatten, erhielten, geschah es auf eine Weise, die wir nicht vorhersehen konnten.
Ein Tag war seit der Ratsversammlung vergangen. Inzwischen war es Hochsommer in Anoria. Der Himmel war strahlend blau und die Sonne schien warm und freundlich. An diesem Tag konnte man sich nicht vorstellen, dass in diesem Land ein Krieg tobte.
Seufzend blickte Larenia zu den vorbeiziehenden Wolken, kleine weiße Wölkchen, die
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