Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
den Himmel nur noch klarer wirken ließen, auf. Sie saß auf den Stufen der Freitreppe des Zauberturms. Keines der anderen Gildemitglieder war in der Nähe. Nicht das leiseste Geräusch war zu hören außer dem Rauschen der Wellen und dem Summen eines Insekts. Das war gut so, denn für das, was sie nun tun musste, brauchte sie ihre ganze Konzentration.
Larenia schloss die Augen. Für einen Augenblick fühlte sie den kühlen Stein des Treppengeländers, die wärmenden Strahlen der Sonne. Und plötzlich war da … nichts, weder Dunkelheit oder Stille, sondern gar nichts. Dann sah sie durch Merlas Augen …
In ein schmales, müde und ausgezehrt wirkendes Gesicht, das sie gut kannte. Laurent ähnelte seiner Tochter in keiner Weise. Er war sehr groß, mit goldblondem Haar. Und seine Augen waren nicht dunkel und geheimnisvoll, sondern hellblau und strahlend wie der Sommerhimmel. Jetzt jedoch sah er erschöpft und bekümmert aus.
„Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich dir nicht helfen kann. Die Bewahrer würden es nie zulassen. Allein mit dir zu sprechen ist schon ein großes Wagnis. Du wurdest verbannt, Merla, falls du es vergessen hast.“
Larenia fühlte Merlas Ungeduld und ihre Stimme klang gereizt, als sie antwortete: „Ich habe dir bereits gesagt, wer mich schickt. Wenn du mir nicht glaubst, dann solltest du dir das ansehen“, sie griff in ihre Manteltasche und zog eine Kette hervor mit einem sternförmigen Anhänger. Das Weißgold glänzte im grellen Licht der Wüstensonne, als sie das Schmuckstück Laurent reichte.
„Das habe ich Zarillia geschenkt“, leiser fügte er hinzu, „ich wusste nicht, dass Larenia es hat.“
In seinen Augen schimmerten Tränen. In diesem Moment tat er Larenia leid. Und dennoch … er war selber schuld. Niemand hatte ihn gezwungen, die Marionette der Bewahrer zu werden. Larenia war sich nicht sicher, ob dies ihre oder Merlas Gedanken waren, es war auch nicht wichtig.
„Wirst du den Menschen helfen?“
Langsam schüttelte Laurent den Kopf: „Das kann ich nicht. Damit würde ich alles zerstören. Ich würde das Land den Bewahrern ausliefern, wenn wir unterliegen.“
In diesem Augenblick wurde Merla bewusst, dass sie trotz allem mit dem König der Kandari sprach. Er besaß die gleiche Gabe wie Larenia. Er bezauberte die Herzen und die wenigsten waren gegen diese Form von Magie immun.
„Aber irgendwann werden uns die Brochonier angreifen. Und dann werden wir blind in unser Verderben rennen. Ich werde es nicht zulassen“, Merla wandte sich ab. Sie konnte ihren Zorn nicht aufrechterhalten. Sie besaß nicht die Kraft, Laurent zur Rede zu stellen. Beinahe hatte sie die Tür erreicht, doch dann –
„Sag Larenia, dass es mir leidtut. Ich wollte es nie so weit kommen lassen. Aber was immer sie auch glauben mag, auch ich diene meinem Volk.“
Im weit entfernten Magiara versuchte Larenia, sich aus der Verbindung zu lösen.
Die Szene verschwamm. Doch selbst in der Dunkelheit, die ihr Denken langsam einhüllte, fühlte sie noch Laurents tiefes Bedauern, Merlas Unzufriedenheit, ihre Ungeduld und Wut über die Untätigkeit des Königs …
Am späten Nachmittag kehrte Felicius nach Magiara zurück. Den ganzen Tag lang hatte er sich um die Verletzten und Kranken gekümmert und von denen gab es mehr als genug. Kurz bevor er den Zauberturm erreichte, traf er auf Arthenius. Die Brüder begrüßten sich mit einem kurzen Lächeln. Dann ritten sie in vertrautes Schweigen gehüllt weiter. Sie hatten ihr Ziel fast erreicht, als Felicius das Schweigen brach: „Es ist erstaunlich, wie still es hier ohne Pierre ist“, er lächelte, doch es war ein trauriges Lächeln. Ohne den stets fröhlichen Elfen erschien die Situation noch bedrückender. Selbst wenn sie alle zusammen waren, sprachen sie kaum. Auch jetzt erwiderte Arthenius das Lächeln, ohne zu antworten.
Sie waren angekommen. Während Arthenius die Pferde wegführte, ging Felicius auf den Zauberturm zu.
Etwas stimmte nicht, das bemerkte er sofort. Er beschleunigte seine Schritte und dann sah er es. Auf dem untersten Treppenabsatz lag vollkommen reglos Larenia. Für einen Augenblick glaubte Felicius, sie wäre eingeschlafen. Kopfschüttelnd kniete er nieder, um sie zu wecken. Er streckte die Hand aus, doch bevor er sie auch nur berühren konnte, fühlte er einen schmerzhaften Schlag und er zog seine Hand erschrocken zurück.
„Arthenius!“, suchend sah er sich nach seinem Bruder um. Im nächsten Augenblick kam Arthenius
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