Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
Stadtoberhauptes innehatte. Sein Vorgänger war ein gerechter und königstreuer Mann gewesen, Eigenschaften, die auf Salivius, den jetzigen Meister, nicht zutrafen. Außer seiner Vorliebe für Luxus und seinem Auge für Profit hatte er kaum Charakterzüge, die sich mit seinem hohen Amt verbinden ließen. Patricia hatte ihn und seine kriecherische Art stets verabscheut.
Niemand sprach sie an, als sie das Haus betrat. Auch auf ihrem Weg zur Empfangshalle begegnete sie keinem.
Das änderte sich beim Betreten des Saals. Auf dem erhöhten Sessel unter einem der Fenster saß in lässiger Haltung ein brochonischer Druide. Sonst war niemand da, doch das war Patricia recht. Sie strich die Kapuze ihres Mantels zurück und trat auf den Brochonier zu. Jetzt erkannte sie, dass es der gleiche Mann war wie bei ihrem ersten Treffen.
„Ihr habt mich betrogen!“
Mit hochgezogenen Augenbrauen und spöttischem Lächeln sah der Druide sie an. Weder ihr zorniger Blick noch ihre schrille Stimme beeindruckten ihn sonderlich.
„Ihr habt versprochen, dass die Opferzahlen minimal sein würden. Aber ihr habt die Hälfte der Verteidiger abgeschlachtet, obwohl die Stadt bereits in eurer Hand war.“
„Lügen, Versprechen“, der kalte, zynische Klang seiner tiefen Stimme ließ sie erzittern, „das sind sonderbare Worte aus dem Mund einer Verräterin.“
Patricia ballte wütend die Hände zu Fäusten. Angesichts der Unverschämtheit des Brochoniers fehlten ihr die Worte. Der Druide lächelte. Es war ein eisiges, sadistisches Lächeln.
„Was werft Ihr mir vor, meine Königin? Wir haben Krieg. Opfer lassen sich nicht vermeiden“, sein Tonfall war so leicht und unbeschwert, als würde er über das Wetter sprechen.
„Wir hatten eine Abmachung!“, mühsam gewann Patricia die Gewalt über ihre Stimme zurück. „Keine überflüssige Gewalt und Neutralität für mein Volk, wenn ich Euch die Kräfte der Gilde und die Schwachstellen in Aridas Verteidigung mitteile. Ich habe meinen Teil erfüllt, nun haltet auch Ihr Euch an euren Teil der Vereinbarung.“
„Die Vereinbarung“, er stand auf und ging auf die Königin zu, bis kaum noch eine Handbreit Luft zwischen ihnen war. „Lasst uns über die Vereinbarung sprechen“, plötzlich griff er mit der rechten Hand in ihr langes Haar und zog ihren Kopf mit einem Ruck nach hinten, sodass sie zu ihm aufsehen musste. Schlagartig verlor seine Stimme jeden zynischen oder amüsierten Klang, „tatsächlich war es unsere Unkenntnis über die Macht der Gilde, die uns den Sieg und das Leben unserer mächtigsten Druiden kostete. Ihr habt euch an die Vereinbarung gehalten? Ich glaube nicht.“
Patricia zitterte in seinem Griff, der sie an der Flucht hinderte. Verschreckt blickte sie in sein von Hass und Zorn verzerrtes Gesicht.
„Eigentlich seid Ihr uns noch etwas schuldig, Königin der Anorianer, dafür, dass wir nicht die gesamte Stadt zerstört haben. Was meint Ihr?“
Erschrocken schnappte sie nach Luft, als sie die Klinge eines Messers durch den Stoff ihres Kleides an ihren Rippen auf Herzhöhe spürte. Sie nickte hastig.
„Und Ihr werdet diese Schuld abtragen, habt Ihr mich verstanden?“, Patricia nickte erneut.
„Gut.“
Er ließ sie los und steckte das Messer weg.
„Dann hört mir jetzt zu. Ihr werdet jede, wirklich jede Neuigkeit, so unbedeutend sie Euch erscheinen mag, an uns weiterleiten. Ihr werdet wissen, wo Ihr mich finden könnt. Und denkt daran. Ich weiß, wann man mich belügt. Noch einmal könnt Ihr von mir keine Gnade erwarten.“
Er ging zurück zu seinem Thron. Patricia ließ er zitternd und leise schluchzend mitten im Raum stehen. Betont gelassen nahm er seinen Platz wieder ein und griff nach einem der Blätter, die neben seinem Sessel lagen. Dann, beinahe als hätte er sie vergessen, wandte er seine Aufmerksamkeit noch einmal Patricia zu: „Ihr könnt gehen.“
Und Patricia ging, eingeschüchtert durch die Grausamkeit und bezwungen durch den stählernen Willen des Druiden. Doch tief in ihrem Inneren regte sich der Widerstand. Sie würde ihm nicht uneingeschränkt gehorchen. Noch war sie die Königin von Anoria und sie liebte ihr Land. Sie besaß durchaus die Kraft, den Befehlen der Brochonier nicht bedingungslos Folge zu leisten.
Niemand in Arida hatte Patricias Abwesenheit bemerkt. Auch als sie drei Tage später, am elften Tag des Monats, in die Stadt der Könige zurückkehrte, schenkte ihr keiner mehr als flüchtige Aufmerksamkeit. Jeder Einzelne, vom König
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