Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
sie nun hören will oder nicht.“
Wieder starrten sie sich eine Weile an. Dann grinste Merla über das ganze Gesicht: „Es ist wirklich schön, dich zu sehen. Es ist viel zu lange her, Philipus.“
„Wenn ihr jetzt fertig seid oder eure Wiedersehensfeier auf später verschieben könntet, wäre ich euch sehr dankbar.“
Zum ersten Mal wandte Philipus der zweiten Kandari seine Aufmerksamkeit zu. Sie trug einen dunkelblauen Mantel, die Farbe der Königsfamilie, die er oft genug an Larenia gesehen hatte. Und auch ihr Gesicht kam ihm vage bekannt vor. Dann erinnerte er sich.
„Prinzessin Anila“, er verbeugte sich tief in ihre Richtung, „was tut Ihr hier?“
Sie sah sich um und verzog angeekelt das Gesicht: „Ich befolge die Anweisungen des Königs. Etwas, das du kaum von dir behaupten kannst.“
Ihr Blick verharrte kurz auf Philipus und wanderte dann weiter zu einer kleinen, schlanken Gestalt, die hinter ihm auf der Treppe erschienen war. Philipus folgte ihrem Blick und erkannte Larenia, die schweigend und mit vollkommen ausdruckslosem Gesichtsausdruck dastand.
Anila drückte Merla die Zügel ihres Pferdes in die Hand und ging mit langsamen Schritten auf Larenia zu, bis sie direkt vor ihr stand. Sie maß die Gildeherrin mit einem eisigen, hasserfüllten Blick.
„Larenia“, flüsterte sie mit mühsam beherrschter Stimme, „so sehen wir uns also wieder, meine Schwester.“
Weder Anilas kalte Musterung noch der verächtliche Klang ihrer Stimme schienen Larenia zu berühren. Als sie endlich antwortete, sprach sie mit sonderbar tonloser, völlig neutraler Stimme: „Warum bist du hier, Anila?“
„Nicht freiwillig, wenn du das glauben solltest. Es war Laurents Wunsch und im Gegensatz zu dir erfülle ich die Wünsche meines Königs.“
„Des Königs oder der Bewahrer?“
Erstaunt sah Anila auf: „Arthenius, wer sonst. Das hätte ich wissen müssen. Wo Larenia auftaucht, bist auch du nicht fern“, sie unterbrach sich. Als sie schließlich weitersprach, galten ihre Worte Larenia, obwohl sie nach wie vor Arthenius ansah, „was immer du von mir denken magst, ich halte dem König, und nur dem König, die Treue.“
„Du hast dich für die Krone entschieden, so wie ich meinem Volk diente und inzwischen jedem, der meine Hilfe benötigt. Ich habe dich nie wegen dieser Entscheidung verurteilt.“
Eine Weile standen sich Larenia und Anila schweigend gegenüber. Obwohl Larenia zu Anila, die etwa einen Kopf größer war, aufsehen musste, erschien sie in diesem Moment groß und mächtig. Trotz der Tatsache, dass sie Halbgeschwister waren, ähnelten sie sich kaum. Das war Philipus selten zuvor so deutlich geworden. Larenia war, zumindest nach den Maßstäben der Kandari, klein und zierlich mit nahezu perfekten Gesichtszügen und großen, unglaublich schönen und gleichzeitig fremdartigen dunkelblauen Augen, Augen, in denen man sich nicht spiegeln konnte. Das zusammen mit der Aura der Macht, die sie stets umgab, verlieh ihr etwas Geheimnisvolles, manchmal sogar Gefährliches. Die meisten, Kandari ebenso wie Menschen, fühlten sich zu ihr hingezogen, ohne dieses Gefühl erklären zu können. Anila dagegen war das Ebenbild ihres Vaters, doch fehlte ihr Laurents Güte. Sie hatte zwar das sympathische Gesicht der meisten Hamada-Elfen, aber ihre Augen waren nicht dunkel und geheimnisvoll, sondern hell und hart und sie besaß nicht, was man vielleicht als Hamada-Gabe bezeichnen könnte. Sie konnte nicht mit einem Blick, einem einzigen Lächeln die Herzen bezaubern. Ebenso wenig verfügte sie über die nahezu grenzenlose Macht einer Larenia.
Nach einer Ewigkeit, so schien es den Umstehenden, wandte Anila den Blick ab: „Das alles ist vergangen und hat keine Bedeutung mehr. Laurent wünscht zu erfahren, wie die Situation der Menschen tatsächlich aussieht, darum bin ich hier.“
„Ihr seid uns willkommen“, nur Arthenius, der Larenia gut kannte, bemerkte, wie sehr sie sich zur Höflichkeit zwingen musste.
„Was ist nur los mit dir?“, Anila und Merla waren im Inneren des Zauberturms verschwunden. Nur Arthenius blieb draußen bei Larenia stehen. „Ich dachte immer, Anila und ihre Einstellung wären dir gleichgültig.“
„Ihre Einstellung!“, ihre vor wenigen Augenblicken noch ausdruckslose Stimme bebte jetzt vor Zorn, „nicht ihre Einstellung ist es, die mich stört. Schließlich kann ich ihre Haltung kaum ändern“, sie holte tief Luft und beruhigte sich wieder, „mich ärgert die Tatsache, dass
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