Das Vermächtnis der Kandari (German Edition)
dass es nicht gerecht ist und dass niemand vor eine solche Entscheidung gestellt werden sollte. Doch wenn es so weit ist, dann denke daran, dass auch die Brochonier über furchtbare Kräfte verfügen und dass sie weder Skrupel noch Zweifel kennen.“
Arthenius blickte auf sie herab. Sie sah in diesem Augenblick sehr klein und verletzlich aus. Die Last der ganzen Welt schien in diesem Moment auf ihren Schultern zu liegen und sie förmlich zu erdrücken. Aber er konnte ihr die Entscheidung nicht abnehmen. Ihre Blicke begegneten sich und er sah die Einsamkeit und Hilflosigkeit, ihre quälenden Zweifel und die Angst in ihren großen, unglaublich schönen blauen Augen. Er konnte sie jetzt nicht allein lassen. Stattdessen trat er auf sie zu und zog sie in seine Arme. Einen Moment lang glaubte er, sie würde zurückweichen. Normalerweise mied Larenia jede Form von Nähe. Aber nach kurzem Zögern lehnte sie den Kopf an seine Schulter.
„Ich werde immer da sein“, flüsterte er, „wenn du mich brauchst.“
Am nächsten Morgen ritten die Gildemitglieder nach Arida, um mit Julien über ihre weiteren Möglichkeiten zu sprechen. Der Fall von Terranien kam zwar nicht unerwartet, aber er war ein harter Schlag für die Anorianer. Dementsprechend gedrückt war Juliens Stimmung. Sein Lebenswerk wurde in diesem Krieg vernichtet, und auch wenn er sich von der lähmenden Verzweiflung befreit hatte, handelte er nicht mehr mit der alten Begeisterung und jede seiner Taten war von einer gewissen Resignation geprägt.
Der König der Anorianer war in ein Gespräch mit Keiran, einem der Anführer der Waldläufer, vertieft, als die Gildemitglieder eintrafen. Beim Eintreten der Kandari sprang er auf.
„Ich bin sehr froh, euch zu sehen. Unsere Situation wird immer schwieriger und ich brauche dringend euren Rat.“
Juliens Blick wanderte von einem Gesicht zum nächsten und blieb endlich an Larenia hängen. Er sah die Gildeherrin flehend und Hilfe suchend an, doch sie senkte den Blick. François, dem das nicht entgangen war, trat vor und ergriff das Wort: „Es stimmt zwar, dass unsere Lage sehr ernst ist, aber ich würde Philipes Leistung in Terranien als Sieg betrachten. Immerhin ist es uns gelungen, viele Leben zu retten und einen Großteil der Bewohner in Sicherheit zu bringen und die Brochonier zu täuschen. Nicht einmal mit unserer gesamten Streitmacht wäre es uns gelungen, Terranien zu verteidigen. So aber haben wir das Beste aus der Situation gemacht und“, fügte er mit einer leichten Verbeugung in Keirans Richtung hinzu, „neue Verbündete gewonnen.“
Der Waldläufer antwortete mit einem respektvollen Nicken auf François’ Worte, aber Julien blieb skeptisch.
„Das ist alles schön und gut, aber es hilft uns auch nicht weiter. Den Brochoniern steht jetzt der Landweg offen und damit können sie uns von drei Seiten angreifen. Ich kenne den Ruf der Waldläufer als Kämpfer, aber nicht einmal mit ihrer Hilfe werden wir dieser Übermacht standhalten können.“
„Wie viele Männer könnt ihr uns zur Verfügung stellen?“, Pierre wandte sich direkt an Keiran und ignorierte geflissentlich Juliens ungehaltenes Stirnrunzeln.
„Ich kann nur für die Waldläufer Terraniens sprechen“, Keiran redete sehr langsam und bedächtig, als bereite ihm die gemeinsame Sprache Anorias Schwierigkeiten. Er war ein kleiner, dunkler Mann in mittlerem Alter mit wettergegerbtem Gesicht und kurz angebundenem, schroffen Verhalten. „Ich kann tausend Krieger stellen. In sieben Tagen kann ich sie im Grenzgebiet sammeln.“
„Moment! Ihr scheint genaue Vorstellungen von unserem weiteren Vorgehen zu haben. Vielleicht könntet ihr mir euren Plan mitteilen.“ Gereizt trat Julien zwischen Pierre und Keiran. „Noch bin ich der König von Anoria.“
„Wir müssen die Brochonier so lange wie möglich zurückhalten“, sagte François in ruhigem Tonfall, „das wird uns im Grenzgebiet zwischen Terranien und Ariana beziehungsweise Firanien am besten gelingen. Die Gegend ist ideal: eine schmale Landbrücke, gut geeignet für Hinterhalte. Selbst eine kleine Gruppe kann dort einer ganzen Armee standhalten. Wenn wir die Waldläufer von Ariana und Firanien ebenfalls für uns gewinnen können, stehen unsere Chancen gut.“
Julien ließ sich zurück auf seinen Thron sinken.
„Sagt mir eins“, flüsterte er, „warum? Warum sollten wir sie noch aufhalten, wenn wir sie doch nicht besiegen können?“
Obwohl in seinen Worten kein bewusster Vorwurf lag,
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