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Das Vermächtnis der Montignacs

Das Vermächtnis der Montignacs

Titel: Das Vermächtnis der Montignacs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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»Keaton«, sagte er ohne große Begeisterung, »wie ungewöhnlich. Wollten Sie mit mir sprechen?«
    Â»Wenn Sie kurz Zeit für mich hätten, wäre ich Ihnen dankbar.« Keaton lächelte einnehmend.
    Roderick nickte. Seine Lider waren schwer vor Müdigkeit, denn nachts konnte er kaum schlafen. Mit einer Geste bat er Keaton, ihm zu folgen, und sie nahmen die Treppe hinauf zu seinem Büro.
    Â»Entschuldigen Sie den Überfall«, bat Keaton. »Ich weiß, es ist eine schwierige Zeit, und ich kann mir kaum vorstellen, was Sie gerade durchmachen. Wie läuft es denn so?«
    Â»Nicht sehr gut.« Sie betraten Rodericks Büro und hängten ihre Mäntel an den Garderobenständer. »Bitte, nehmen Sie Platz.« Mit einem tiefen Seufzer ließ Roderick sich an seinem Schreibtisch nieder. »Die Anklage ist noch dabei, ihren Fall zu präsentieren, aber es sieht nicht gut aus. Harkman macht seine Sache ganz hervorragend. Wenn man ihn hört, ist Gareth eine Mischung aus Jack the Ripper und Attila, dem Hunnenkönig. Er führt den Alkoholkonsum meines Sohnes an und bezieht sich auf Ereignisse aus seiner Vergangenheit.«
    Â»Harkman ist Staatsanwalt«, entgegnete Keaton beinah mitfühlend. »Sie wissen, dass er es nicht persönlich meint. Er tut nur seine Pflicht. Wie Sie es in der Vergangenheit auch getan haben.«
    Â»Trotzdem fällt es mir schwer, ihm zuzuhören. Zu hören, wie der eigene Sohn beschrieben wird. Ein Junge, den man aufgezogen hat, den man hat studieren lassen und in den man so viel Hoffnung gesetzt hat. Sie haben doch auch Kinder, oder?«
    Â»Fünf.«
    Â»Na also. Vielleicht können Sie sich vorstellen, wie es ist, wenn jemand, den Sie lieben, derartig diffamiert wird.«
    Keaton nickte. In einem kleinen Winkel seines Herzens empfand er tatsächlich Mitleid mit Roderick Bentley, einem anständigen Mann, der lediglich das Pech gehabt hatte, für das falsche Beratungskomitee ausgewählt worden zu sein. Wenn man so wollte, führte Gareth Bentleys Inhaftierung in gerader Linie zu einer Entscheidung zurück, die Lord Hailsham getroffen hatte, und zu den Spielschulden von Owen Montignac.
    Â»Und Jane?«, fragte Keaton. »Wie kommt sie damit zurecht?«
    Â»Gar nicht.« Roderick zuckte mit den Schultern. »Sie läuft wie ein Gespenst umher, obwohl sie nur wenig geweint hat. Aber sie ist sichtlich gealtert. Dann wieder gerät sie in einen Zustand blinder Panik, und ich möchte ihr helfen und für sie da sein, weiß aber nicht, was ich tun kann. Falls es für Gareth schlecht ausgeht …«
    Â»Auf diese Möglichkeit müssen Sie sich einstellen«, sagte Keaton. »Falls die Beweise sich gegen ihn häufen.«
    Â»Ja, glauben Sie denn, dass weiß ich nicht«, fuhr Roderick auf. »Ich sitze da und höre zu, wie die Anklage ihren Fall präsentiert, und frage mich, wie ich entscheiden würde, wenn ich den Vorsitz hätte. Wenn dem so wäre, dächte ich, der Fall liege klar auf der Hand, und finge an, über das Urteil nachzudenken.«
    Â»Ah«, sagte Keaton, »da kommen wir zu der Crux der Sache.«
    Roderick hob die Hand. »Bitte nicht. Ich ertrage es nicht einmal, daran zu denken. Die Vorstellung, dass –« Er konnte den Satz nicht vollenden. In seine Augen traten Tränen, die er beschämt und peinlich berührt wegblinzelte. Als er Keaton wieder ansah, versuchte er zu lächeln. »Wissen Sie, dass ich immerzu an die drei Familien denken muss, deren Söhne ich in meiner Laufbahn zum Tode verurteilt habe? An die Eltern, zu denen ich im Gerichtssaal mitunter hingeschaut habe. Ihre Gesichter waren voller Qual und Entsetzen, und doch hat es mich nie berührt. Der Witz ist, dass ich mir sogar dazu gratuliert habe, so unbewegt bleiben zu können. Ich fand, es machte mich zu einem besseren Richter. In Wahrheit hat es mich zu jemandem gemacht, der stumpf gegenüber dem Leid war, das er verursacht. Gareths Urteil wird auch das Urteil dieser Familien sein. Entschuldigen Sie, Keaton«, bat er, als er merkte, dass seine Verzweiflung mit jedem Satz wuchs, »Sie müssen denken, dass ich mich wie ein Esel benehme.«
    Â»Ich finde, dass Sie sich wie jeder andere Vater auch benehmen.«
    Â»Sicher.« Roderick klatschte in die Hände, um zu verdeutlichen, dass dieser Teil ihrer Unterhaltung jetzt beendet war, räusperte sich und fragte:

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