Das Vermächtnis der Montignacs
darüber. Denk daran, dass du noch trauerst, um deinen Vater und um deinen Verlobten, vielleicht siehst du ja ein, dass â«
»Danke, Margaret«, fiel Stella ihr ins Wort, »ich wäre jetzt gern allein.«
Margaret holte tief Luft und wollte etwas sagen, doch dann überlegte sie es sich anders, machte kehrt und verschwand.
Stella blieb an dem Schreibtisch sitzen, nahm einen Stift und malte auf einem Block herum. Ihre Gedanken wanderten zu ihrem verstorbenen Verlobten und sie schrieb seinen Namen mitten auf die Seite:
Raymond
Sie starrte auf den Namen. Dann schrieb sie einen Satz darüber:
Ein Leben ohne Raymond
Sie trommelte auf die Schreibtischplatte und dachte, dass sie sich daran gewöhnen musste. An ein Leben ohne Raymond. Niemand hatte jemals erkannt, dass er etwas Besonderes war. Sie kam zu dem Schluss, dass nicht einmal sie es getan hatte. Wieder nahm sie den Stift und setzte drei Wörter unter seinen Namen:
Ein Leben ohne Raymond ist zu schmerzhaft.
Sie betrachtete die Zeilen, runzelte die Stirn angesichts des Selbstmitleids, das in ihren Worten lag, riss die Seite ab und knüllte sie zusammen, um sie in den Papierkorb zu werfen. Der nicht da war, weil Margaret ihn mitgenommen hatte. Gereizt schüttelte sie den Kopf, stopfte den Papierball in die oberste Schreibtischschublade und stand auf. Mit einem Mal spürte auch sie die Kälte in dem Raum und begann zu frösteln. Sie verlieà das Arbeitszimmer und schloss die Tür ab.
3
Nachdem Alistair Shepherd gezwungen worden war, seinen Ruhestand anzutreten, hatte ein Mann namens Richard Smith seine Stelle eingenommen und mittlerweile erkannt, dass die Arbeit aufreibender war, als er sich jemals hatte vorstellen können. In der vorherigen Kanzlei, wo er im Büro gearbeitet hatte, klingelte das Telefon nur, wenn ein Rechtsberater anrief und wegen eines gemeinsamen Mandanten um einen Termin mit einem der Anwälte bat. Das war schlieÃlich das Geschäft einer Kanzlei. Hier dagegen kam jeder zweite Anruf von einem Zeitungsredakteur oder Reporter, der einen Kommentar seitens des ehrwürdigen Seniorpartners der Kanzlei im Mordfall seines Sohnes forderte. Richard hatte rasch gelernt, dass er diese Anrufe nicht zu Roderick Bentley durchstellen durfte, und erklärte jedem von der Presse so höflich, wie er konnte, dass er sich bitte nicht noch einmal melden solle. Doch inzwischen hatte Richard einen Punkt erreicht, an dem er selbst begann, am Telefon unwirsch zu reagieren, sodass er zu der wohlerwogenen Meinung gelangte, Roderick Bentley solle dem Anstand gehorchen und zurücktreten, ehe er die Kanzlei noch weiter in Misskredit brachte.
An diesem Tag kam der erste Anruf jedoch von Lord Samuel Keaton, einem anderen obersten Richter. Er erkundigte sich, ob Richter Bentley später am Tag zu einem Treffen zur Verfügung stünde.
»Sein Terminkalender sieht ein wenig problematisch aus«, erwiderte Richard und blätterte durch die Seiten, in denen ganze Vor- und Nachmittage durchgestrichen waren. »Vermutlich muss ich Ihnen nicht erklären, dass â«
»Der Prozess, ich weië, fiel Keaton ein. »Mir ist bewusst, dass er den gröÃten Teil des Tags im Gerichtssaal verbringt, aber kommt er denn nie auf einen Sprung in der Kanzlei vorbei?«
»Hier und da in der Mittagspause«, sagte Richards vorsichtig, denn diese Information hätte er sonst niemandem gegeben, nur einem Richter von Lord Keatons Rang. »Wenn Sie zu dieser Zeit vorbeikommen möchten, könnten Sie ihn vielleicht antreffen.«
»Machen Sie heute keine weiteren Termine für ihn«, befahl Keaton. »Ich muss ihn in einer dringenden Angelegenheit sprechen.«
»Sehr wohl, Sir.« Richard schrieb die Nachricht auf und hoffte, der Chef würde ihm das nicht übel nehmen.
Gegen Mittag traf Lord Keaton noch vor Richter Bentley ein und wartete schon auf ihn, als Letzterer die Treppe hochkam, gebückt und mit gesenktem Kopf, als trüge er das Gewicht der Welt auf den Schultern. Bentley lief an Keaton vorüber, nahm ihn gar nicht wahr und nickte aus Gewohnheit zum Empfangstisch hinüber. Wahrscheinlich wäre ihm nicht einmal aufgefallen, wenn dahinter ein zweihundert Pfund schwerer Gorilla gesessen hätte.
»Sie haben Besuch, Sir«, sagte Richard und deutete mit dem Kopf an Bentley vorbei auf Lord Keaton.
Roderick wandte sich um und schien überrascht zu sein.
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