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Das Vermächtnis der Montignacs

Das Vermächtnis der Montignacs

Titel: Das Vermächtnis der Montignacs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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vergessen müsse und mit niemandem darüber sprechen dürfe. Niemals.
    Plötzlich hatte er einen metallischen Geschmack im Mund, leckte über seine Lippen und schmeckte Blut. Bei seinem Ausflug in die Vergangenheit hatte er seine Lippe blutig gebissen.
    Â»Ach herrje, Sie bluten ja«, rief Jenny, griff in ihre Handtasche und zog ein Taschentuch heraus. »Hier, nehmen Sie das.«
    Sie beugte sich vor und wollte ihm das Tuch offenbar selbst auf den Mund drücken – wie Stella es vor all den Jahren getan hatte. Montignac wich zurück und nahm ihr das Taschentuch ab.
    Â»Danke«, sagte er, »das kann ich selbst.«
    Der Zug wurde langsamer. Bis Leyville würde er noch zwei Mal haltmachen, was einem Fußmarsch von einer guten Stunde entsprach. Draußen war es zwar noch frisch, aber Montignac entschied, den Rest der Strecke zu laufen, denn wenn er noch eine Minute länger im dem Abteil bliebe, würde er vor Wut seine Faust durch das Fenster rammen. Mit einem Griff schnappte er seine Reisetasche, stürmte ohne ein Wort des Abschieds auf den Gang und hinaus auf den Bahnsteig. Dort sog er die frische Luft ein, hasste sein Leben, seine Vergangenheit, alles, was aus ihm geworden war, und alles, was man aus ihm gemacht hatte. Als der Zug losfuhr, sah er das junge Paar, das ihn durch das Abteilfenster konsterniert anstarrte.
    Die Montignacs, jene Montignacs, hatten ihm alles gestohlen. Sein Haus, sein Geld, sein Land, seine Familie, sein Erbe, seinen inneren Frieden, sein Kind.
    Und jetzt stand er hier, war von dem schlimmsten von allen Montignacs herbeizitiert worden, als wäre er nicht viel mehr als ein Dienstbote. Warum behandelte sie ihn so? Warum erkannte sie nicht, wie sehr er sie liebte? Dass sie dazu geboren waren, zusammen zu sein.

5
    Während Roderick Bentley erfuhr, was er tun musste, um das Leben seines einzigen Kindes zu retten, hatte Jane den Justizpalast Old Bailey verlassen, um in der Mittagspause mit Sir Quentin Lawrence zu sprechen. Nach der Verhandlung am Vormittag hatte sie auf ihn gewartet, ihn jedoch aus den Augen verloren, als der Richter sich zurückzog und die Zuschauer aus dem Saal drängten.
    Â»Ich fahre in die Kanzlei«, erklärte Roderick und griff nach seiner Aktentasche. »Möchtest du mitkommen?«
    Jane schüttelte den Kopf. »Ich esse hier ein Sandwich. Wir treffen uns nachher wieder.«
    Roderick wandte sich zum Gehen und war froh, dass er auf der Fahrt in die Kanzlei keine hoffnungsvollen Kommentare von sich geben musste. Als er aus dem Gerichtssaal verschwunden war, folgte Jane ihm und hielt auf dem Flur nach dem Anwalt Ausschau, der jedoch nirgends zu entdecken war. Stattdessen fiel ihr Blick auf James Lewis, den Rechtsberater von Sir Quentin, der am Ende eines leeren Korridors eine Treppe nach unten lief. Sie eilte ihm nach, hörte, wie das Klacken ihrer Absätze durch den Korridor hallte, und hatte ihn fast eingeholt, als er die Tür zur nächsten Herrentoilette aufzog und hineinging. Jane blieb vor der Tür stehen und wartete voller Ungeduld. Nach einer Weile schaute sie nach allen Seiten, stellte fest, dass außer ihr niemand da war, und betrat die Herrentoilette.
    Es war eine seltsame Erfahrung, denn bisher war sie noch nie in einer Herrentoilette gewesen. Innen war es kälter als in den Damentoiletten, die sie kannte, und ungepflegter. Mit dem Rücken zu ihr stand der Rechtsberater an einem Urinal und pfiff eine Melodie vor sich hin.
    Â»Mr Lewis«, begann Jane. Der junge Mann zuckte zusammen und fuhr herum.
    Â»Lady Bentley«, rief er, »was tun –«
    Â»Tut mir leid, dass ich so hereinplatze, aber –«
    Â»Lady Bentley, das hier ist eine Herrentoilette. Sie können nicht einfach hereinkommen.«
    Â»Aber ich muss Sie etwas fragen.«
    Â»Bitte, Sie müssen draußen warten. Hier haben nur Männer Zutritt.«
    Â»Sie dummer Junge«, sagte Jane, »was glauben Sie, wie egal mir das ist. Kann ich Sie jetzt etwas fragen?«
    Lewis warf ihr einen finsteren Blick zu, wandte sich ab, rückte seine Hose zurecht und knöpfte sie zu. Das Gesicht feuerrot vor Verlegenheit, trat er an das Handwaschbecken. »Das gehört sich nicht«, murmelte er. »Einen Mann auf der Toilette, den muss man doch in Ruhe –«
    Â»Wissen Sie, wohin Sir Quentin gegangen ist?«, unterbrach Jane ihn. Seine Anstandsregeln interessierten sie nicht.
    Â»Zum

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