Das Vermächtnis der Montignacs
noch mehr als er selbst verschuldet hatte.
Er warf einen Blick auf seine Uhr. Es war schon zehn Minuten vor zwei.
»Ich muss los.« Er stand auf. »Gleich kehrt das Gericht zurück. Kommst du auch?«
Margaret schüttelte den Kopf. »Ich habe genug gesehen. Und alles gesagt, was ich sagen wollte. Denkst du über meine Worte nach?«
»Etwas anderes wird mir kaum gelingen«, erwiderte er und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen. Auf der StraÃe verspürte er den seltenen Wunsch, lauthals zu schreien, so laut, dass er den Verkehr zum Erliegen brächte.
4
Vom Zeugenstand aus nahm Gareth erstmals die GröÃe des Gerichtssaals wahr. Auf der Anklagebank hatte er es immer geschafft, den Blick auf einen von zwei Punkten zu richten: entweder auf den Zeugen, der gerade verhört wurde, oder zu Boden. Dennoch war er sich der vielen hundert Menschen bewusst gewesen, die Tag für Tag zur Verhandlung kamen und ihn wortlos taxierten. Er spürte ihre Blicke, die sich in seinen Rücken bohrten, während sie überlegten, ob er ein brutaler Mörder war oder nicht. Er hatte sich nie zu ihnen umgedreht. Erst jetzt, als sich im Gerichtssaal erwartungsvolles Schweigen ausbreitete und er sich auf dem Podest des Zeugenstandes befand, fühlte er sich imstande, die Menge vor sich anzuschauen und sich zu fragen, wie sie dazu kamen, ihm ungebeten ihre Aufmerksamkeit zu schenken.
Wie Montignac und alle anderen Zeugen zuvor auch, legte er seine rechte Hand auf die Bibel und schwor, die reine Wahrheit zu sagen und nichts als die Wahrheit. Als Sir Quentin sich erhob und auf ihn zutrat, zog sich sein Magen zusammen.
»Mr Bentley«, begann Sir Quentin, ohne sich mit einer Vorrede aufzuhalten, »können Sie uns sagen, wo Sie am Abend des achtzehnten August dieses Jahres waren?«
Gareth räusperte sich. »Ich war mit Owen Montignac, meinem damaligen Arbeitgeber, in einem Pub namens Bullirag nahe dem Piccadilly Circus.«
»Aha. Würden Sie uns erzählen, an welche der Ereignisse jenes Abends Sie sich erinnern?«
»Nein, ich fürchte, das kann ich nicht.«
»Wie bitte?«, fragte Sir Quentin überrascht, denn er hatte sämtliche Fragen und Antworten mit Gareth in dessen Zelle geprobt.
»Ich sagte, dass ich mich nicht erinnern kann, Sir.«
»Würden Sie uns erklären, weshalb dem so ist?«
»Zu meinem Bedauern habe ich an jenem Abend zu viel Alkohol getrunken, und wenn ich zu viel trinke, kann ich mich am nächsten Morgen kaum noch an den Vorabend erinnern.«
»Erinnern Sie sich von jenem Abend an gar nicht mehr?«
»Nur noch an sehr wenig.«
»Und was ist das Erste, an das Sie sich erinnern können?«
»Dass ich in einer fremden Wohnung, in einem fremden Bett wach wurde. Ich wusste nicht, wo ich war, und hatte einen furchtbaren Kater. Ich lag eine Zeit lang da, und dann hörte ich auf der StraÃe Wagen bremsen und wenig später Schritte. Ich stand auf und entdeckte Blut an meinem Hemd.«
»Waren Sie nachts überfallen worden?«
»Einspruch, Euer Ehren«, rief Harkman. »Der Verteidiger versucht, dem Zeugen etwas zu suggerieren.«
»Stattgegeben. Sir Quentin, bitte legen Sie Ihrem Zeugen keine Worte in den Mund«, grummelte der Richter.
»Ich bitte um Verzeihung, Euer Ehren. Mr Bentley, würden Sie uns das, was als Nächstes geschah, mit eigenen Worten beschreiben?«
Gareth schluckte. »Ich hörte, dass jemand die Wohnung betrat. Ich wusste noch immer nicht, wo ich war, aber ich verlieà das Schlafzimmer â und da sah ich ihn.«
»Ihn?«
»Den Mann, der, wie ich später erfuhr, Raymond Davis hieÃ. Er war tot und lag auf dem Boden. Es war â entsetzlich. Als Nächstes kamen Polizisten herein und warfen sich auf mich. Danach wird es wieder verschwommen.«
Sir Quentin trat noch einen Schritt näher und erhob seine Stimme. »Mr Bentley, können Sie uns sagen, ob Sie Raymond Davis vor jenem Morgen schon jemals gesehen hatten?«
»Noch nie, Sir.«
»Sie hatten weder mit ihm gesprochen, noch waren Sie ihm jemals begegnet?«
»Richtig.«
»Mr Bentley, haben Sie Raymond Davis getötet?«
»Nein, Sir«, antwortete Gareth emphatisch, »ich glaube nicht.«
Sir Quentin hätte ihn am liebsten geohrfeigt. Mindestens ein Dutzend Mal hatte er den Jungen auf diesen Augenblick vorbereitet und ihm klargemacht,
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