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Das Vermächtnis der Montignacs

Das Vermächtnis der Montignacs

Titel: Das Vermächtnis der Montignacs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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zu ihm um und schien seine Worte kaum zu erfassen. All ihre Sinne waren auf ihren Sohn und dessen Qualen konzentriert. »Wohin?«
    Â»Ich muss etwas erledigen«, sagte Roderick. »Das hier muss beendet werden.«
    Â»Aber du kannst doch nicht so einfach gehen.«
    Er stand auf und drängte sich durch die Reihe hinaus auf den Gang, rannte beinah auf die Flügeltür zu und hinaus auf den Flur, ohne die vielen Menschen im Gerichtssaal wahrzunehmen, die ihn beobachteten. Nur Gareth sah ihm nicht nach, dafür jedoch Owen Montignac, um dessen Mund ein Lächeln spielte, ehe er auf seine Uhr schaute.
    Roderick stieß die schwere Eingangstür des Gerichtsgebäudes auf. Draußen lehnte er sich an die kalte Steinmauer und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Er wusste, dass er keine andere Wahl mehr hatte. Doch ganz gleich, was geschehen würde, sein Leben, das er bisher geführt hatte, war beendet. Er hatte erkannt, wie viel seine Integrität wert war.

5
    Das Amtszimmer von Lord Samuel Keaton befand sich im zweiten Stock des Westminster-Palasts mit Blick über die Themse und die Tower-Brücke. Mit schwerem Herzen erklomm Roderick die Steinstufen. An dem Tag, als er als Anwalt zugelassen worden war, und dann noch einmal, als er zum Richter berufen wurde, hatte er geschworen, dem Gesetz zu dienen. Seither hatte er es nicht ein einziges Mal zugelassen, dass seine persönlichen Gefühle über seine Gesetzestreue siegten. Er hatte Mandanten verteidigt, von denen er nichts gehalten hatte, und sie trotz der Schwere der Anklage freibekommen, weil die Polizei gegen das Gesetz verstoßen und er Verfahrensfehler nachgewiesen hatte. In seiner gesamten Zeit vor Gericht hatte er Recht und Ordnung vertreten und, so weit er wusste, nie einen Fehler begangen. Wenn er als Richter sein Urteil gesprochen hatte, war das ungeachtet der Person des Angeklagten geschehen, nur das Verbrechen war ausschlaggebend gewesen. Und jetzt, im Alter von zweiundfünfzig Jahren, stand er im Begriff, seine Integrität über Bord zu werfen und den König zu opfern, um das Leben seines Sohns zu retten.
    Er klopfte an Keatons Tür und wartete auf eine Stimme, die ihn bat, einzutreten. Als diese Aufforderung ausblieb, drückte er versuchsweise den Türgriff nach unten. Die schwere Eichentür ging auf. Roderick steckte den Kopf in den Raum und entdeckte Lord Keaton an seinem Schreibtisch. Er telefonierte, saß zurückgelehnt in seinem Sessel, als hätte er keine Sorgen. Als sein Blick auf Roderick fiel, winkte er ihn herein.
    Â»Ich muss Schluss machen«, sagte er ins Telefon und zwinkerte Roderick zu. »Ich habe wichtigen Besuch bekommen.« Er lauschte dem, was der andere sagte, und erwiderte: »Wahrscheinlich kann ich Sie in einer Stunde darüber informieren. Die Antwort steht kurz bevor.« Er legte den Hörer auf und lächelte Roderick an. »Ich habe mich gefragt, wie lange es wohl dauern wird, ehe Sie hier erscheinen.«
    Â»Ach ja?«, fragte Roderick bissig und setzte sich Keaton gegenüber. »Ich hoffe, ich habe Ihre Geduld nicht zu sehr strapaziert.«
    Â»Keineswegs. Obwohl ich mir nicht sicher war. Man kann zwar versuchen, die Reaktion eines anderen vorherzusagen, aber man kann doch nie ganz sicher sein. Doch dann dachte an die Art, wie Ihr Sohn sich eben im Zeugenstand aufgeführt hat –«
    Â»Davon haben Sie schon gehört?«
    Â»Gehört? Ich war selbst dabei, mein Lieber.«
    Â»Unten im Gerichtssaal?«
    Â»Nein, ich habe von der Galerie auf Sie hinabgeschaut. Sie konnten mich nicht sehen. Ich wollte wissen, ob die ganze Sache nicht doch eine enorme Zeitverschwendung war. Wenngleich Jane mir leidtut. Sie scheint vollkommen am Ende zu sein.«
    Â»Ich möchte nicht, dass Sie ihren Namen erwähnen«, sagte Roderick so scharf, dass Keaton zurückzuckte.
    Â»Gut«, entgegnete er leise, »aber deshalb müssen wir nicht unhöflich werden. Wie geht es Ihrem Jungen? Haben Sie nach seinem Auftritt mit ihm sprechen können?«
    Â»Interessiert Sie das wirklich?«
    Â»Ob Sie es glauben oder nicht, Roderick, aber ich möchte nicht, dass Ihrem Sohn ein Leid geschieht. Schließlich bin ich dabei, ihn zu retten. Wenigstens das könnten Sie mir zugutehalten.«
    Roderick schnaubte. Er war nicht mehr in der Lage, jemandem etwas zugutezuhalten, einen Dank auszusprechen oder überhaupt irgendetwas anzuerkennen.
    Â»Ich

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