Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Vermächtnis der Montignacs

Das Vermächtnis der Montignacs

Titel: Das Vermächtnis der Montignacs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
Vom Netzwerk:
starke Make-up und mit einem weniger geschmacklosen Kleid wäre sie vielleicht sogar hübsch gewesen. Sie spürte seinen Blick und drehte den Kopf langsam zu ihm. Für einen Moment hielt er ihren Blick fest, dann wandte er sich ab und fragte sich, warum er sie überhaupt beachtet hatte.
    Montignac schaute auf seine Uhr. Es war kurz vor Mitternacht, und er war unglaublich müde. Der Abend war anstrengend gewesen: zuerst das Dinner mit Stella und Raymond, dann Delfys Schläger, der ihn sozusagen entführt hatte, und zuletzt die Unterredung mit dem Clubbesitzer selbst. Er unterdrückte ein Gähnen und überlegte, ob er austrinken und mit dem Taxi zurück zu seiner Wohnung am Bedford Place fahren sollte. Doch seine Beine waren wie Blei, schon der Gedanke daran, aufzustehen, war ihm zu viel. Ihm fiel ein, dass er sich für den nächsten Mittag mit Stella verabredet und darauf bestanden hatte, dass sie allein kam. Er fragte sich, ob er mit ihr über seine finanziellen Probleme sprechen sollte, doch dann verwarf er den Gedanken. Er konnte sie nicht um Geld bitten, auch das verbot ihm sein Stolz. Abgesehen davon kannte er die Bedingungen, die im Testament seines Onkels verankert waren. Demnach wäre sie kaum in der Lage, seine Schulden zu begleichen. Und wenn, wäre sie gezwungen, etwas zu verkaufen, die Frage war nur, was; der Großteil der Immobilien wurde ja treuhänderisch für ihre Erben verwaltet. Gänzlich hatte Peter Montignac nämlich nicht gegen die Familientradition verstoßen, denn statt seinen gesamten Reichtum seiner Tochter zu vermachen, hatte er dafür gesorgt, dass sie nur Zugang zu den Konten hatte, auf denen die Zinsen und Mieteinahmen eingingen. Wenn es später einmal so weit wäre, konnten ihre Kinder mit dem Besitz nach Gutdünken verfahren, aber die Generation nach Peter Montignac blieb noch an die Tradition gebunden. Anscheinend hatte der alte Mann seiner Tochter nicht getraut, nicht einmal seinem einzigen, noch lebenden Kind. Dennoch hatte er ihr mehr als seinem Neffen getraut.
    Â»Suchen Sie Gesellschaft?«, fragte die junge Frau, trat näher und schwang sich auf einen Barhocker. Sie stützte einen Ellbogen auf, drehte sich halb zu ihm um und versuchte, einen Blick auf sein Gesicht zu werfen. Mit einem Mal erkannte Owen sie wieder. Sie gehörte zu den Frauen, die Delfy einsetzte, um wohlhabende junge Männer dazu zu bewegen, wiederzukommen.
    Â»Eigentlich nicht«, antwortete er.
    Â»Moment mal, ich kenne Sie doch, oder?«, sagte sie und erinnerte sich wieder an das auffallend weiße Haar, das Montignac von den anderen jüngeren Stammgästen unterschied.
    Â»Ich war schon mal hier.«
    Â»Möchten Sie mir keinen Drink spendieren?«
    Montignac wandte sich zu ihr um und wunderte sich über ihre Anmaßung. »Nein«, sagte er, »möchte ich nicht. Aber wenn Sie bezahlen, würde ich noch einen Whisky nehmen.«
    Â»Ich bezahle gar nichts«, erwiderte sie beleidigt. »Was ist denn das für ein Gentleman, der sich weigert, einer Dame einen Drink auszugeben?«
    Â»Das habe ich nicht getan.«
    Â»Doch, gerade eben.«
    Â»Sind Sie eine Dame?«
    Die Frau musterte ihn verärgert und war offenbar kurz davor, ihn auf übelste Weise zu beschimpfen. Doch möglicherweise war ihr Abend ebenso anstrengend wie seiner gewesen, denn gleich darauf schüttelte sie nur fassungslos den Kopf und ließ sich von dem Hocker herabgleiten.
    Â»Wie Sie wollen«, sagte sie müde. »Dann bleiben Sie eben allein.«
    Er wandte sich ab. Sie entfernte sich. Natürlich gab es Augenblicke, in denen es ihn nach einer Frau verlangte, ebenso wie es Nächte gab, in denen er eine fand und seine Begierde stillte. Doch der Gedanke, jemanden für eine dauerhafte Beziehung zu suchen, war ihm bisher nie gekommen. Allein die Vorstellung, noch einmal jemanden an sich heranzulassen und vielleicht ein zweites Mal verletzt zu werden, war ihm unerträglich. Er hob sein leeres Glas und nickte dem Barkeeper zu. Der Mann schenkte ihm einen zweiten Whisky ein. Montignac konnte nur noch mit Münzen bezahlen, was er ohne Verlegenheit tat.
    Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, dass der Koloss, der ihn vor einer Weile hierherbegleitet hatte, erneut Delfys Büro anstrebte. Er entsprach genau dem Typus, der in einem Nachtclub arbeitete, gewöhnlich für jemanden wie Nicholas Delfy. Solche Männer waren ruhig,

Weitere Kostenlose Bücher