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Das Vermächtnis der Montignacs

Das Vermächtnis der Montignacs

Titel: Das Vermächtnis der Montignacs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Boyne
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schaltete das Deckenlicht aus. Nur die Nachttischlampe an Raymonds Bettseite brannte noch. Ohne die kleinste Verlegenheit schüttelte sie ihren Bademantel ab, legte ihn über einen Stuhl, trat nackt ans Bett, schlüpfte unter die Decke und schmiegte sich trostsuchend an Raymond.
    Raymond entschied, sich nicht mitfühlend über den Tod ihres Bruders zu äußern. Es würde ja doch nur unecht klingen. Sie hatte ihm die Geschichte erzählt, und mehr gab es dazu nicht zu sagen.
    Â»Und Owens Liebesbeziehung ist zur selben Zeit zu Ende gegangen?«, fragte er.
    Â»So gut wie. Nach Andrews Tod wurde sie für lange Zeit nicht mehr erwähnt. So viel weiß ich mit Sicherheit. Er war ja auch noch sehr jung, und sie war seine erste Liebe. Aber irgendwie scheint die Geschichte ihn innerlich verletzt zu haben.«
    Â»Wenn er seitdem keine Gefühle mehr zulässt, muss er sie sehr geliebt haben«, sagte Raymond. »Obwohl er erst fünfzehn Jahre alt war.«
    Â»Lass uns nicht mehr darüber sprechen.« Stella schloss die Augen. »Es ist alles schon so lange her. Ich erinnere mich nicht gern an diese Zeit.«
    Â»Ich nehme an, seitdem hat Owen dich immer sehr behütet.«
    Â»Ja.«
    Â»Vielleicht sollte ich mir mehr Mühe mit ihm geben. Ihm zeigen, dass ich eigentlich gar kein so übler Kerl bin.«
    Â»Ich weiß nicht. Owen kann man nicht so leicht umstimmen. Lass mich morgen mit ihm reden. Mal sehen, ob ich dann ein paar Dinge klarstellen kann.«
    Sie wandte sich von ihm ab. Raymond rückte an sie heran und küsste ihren Nacken. Seine Hände wanderten tiefer und liebkosten ihren warmen weichen Körper. Sie ließ ihn gewähren und fing an zu reagieren, war jedoch froh, dass er die Nachttischlampe ausgeschaltet hatte, denn so konnte er den Kummer und die Reue in ihren Augen nicht erkennen, den Schmerz, der sie zu überwältigen drohte.

8
    Eigentlich wollte Montignac die Ballrooms so rasch wie möglich verlassen, doch das ließ sein Stolz nicht zu. Delfys Wachen standen herum und beobachteten jede seiner Bewegungen. Sie sollten nicht denken, er habe Angst, zu bleiben. Die Freude wollte er ihnen nicht machen. Deshalb durchquerte er die Bar zur Theke, statt die Treppe zum Ausgang zu nehmen, und bestellte sich einen Whisky. Da er allein war, mochte er sich nicht in eine Nische setzen, denn jetzt war die Zeit, in der die Gedanken junger Männer begannen, um Alkohol, Frauen und Glücksspiele zu kreisen. Er überlegte, ob er ins Spielkasino durchgehen sollte, hatte jedoch so wenig Geld in der Tasche, dass es sich kaum lohnte. Außerdem wäre es wahrscheinlich besser, den kleinen Rest zu nutzen, um seine Sorgen zu ertränken.
    Mit gesenktem Kopf setzte er sich ans Ende der Theke, fragte sich, wie er in diese Lage geraten war und wie er wieder herauskommen konnte. Er hatte gespielt, was ein Fehler gewesen war, wie er jetzt wusste. Er hatte einen Suchtcharakter, und wenn er mit etwas wie dem Spielen anfing, fiel es ihm schwer, wieder aufzuhören. Wenn er spielte, sagte er sich, dass ihm die nächste Runde beim Roulette oder die nächste Kartenhand Glück bringen und er, sobald dieser Moment käme, gewinnen würde. Nur, dass dieser Moment nie gekommen war und seine Schulden gestiegen waren, bis zu der schwindelerregenden Höhe, die sie inzwischen erreicht hatten.
    Er dachte an die Fragen, die Delfy ihm gestellt hatte. Ob er stehlen würde, um das Geld zurückzahlen zu können, oder jemanden verletzen würde. Ob er jemanden töten würde. Um ein Haar hätte er laut gelacht. Der Besitzer der Ballrooms wusste nicht einmal annähernd, was er zur Selbsterhaltung bereit wäre zu tun.
    Eine Zeit lang hatte das Spielen ihn glücklich gemacht und, soweit er sich erinnerte, war er in seinem Leben nicht oft glücklich gewesen. Vielleicht als kleines Kind, ehe er nach Leyville kam. Bevor seine Eltern gestorben waren. Womöglich auch in dem Jahr vor Andrews Tod, als er verliebt gewesen war. Falls das Glück gewesen war, dann machte das Spielen ihn nicht glücklich, es gab ihm nur so etwas wie Frieden. Während des Spiels vergaß er die Dinge, die er getan hatte, ebenso wie die Dinge, die man ihm angetan hatte.
    Eine junge Frau trat an ihm vorbei zur Theke. Er roch ihr Parfum und sah zu, wie sie mit dem Barkeeper sprach. Sie war einige Jahre jünger als er, vielleicht achtzehn, neunzehn oder Anfang zwanzig. Ohne das

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