Das Vermächtnis der Montignacs
souverän.
Dann runzelte er die Stirn. Eine Kunstgalerie. Er wusste nicht viel über Kunst, trotzdem wäre die Stelle besser als nichts. Er stellte den leeren Teebecher auf den Nachttisch, nahm seine frühere Position unter der Bettdecke wieder ein und war kurz darauf eingeschlafen.
3
Stella Montignac verbrachte den Morgen auf der Regent Street. Von dort aus war es nur ein Katzensprung zur Burlington Street, der Savile Row und der Kunstgalerie, in der ihr Cousin arbeitete. Um sich aufzuheitern, hatte sie beim Verlassen des Hotels beschlossen, einen Einkaufsbummel zu machen und dabei ordentlich Geld auszugeben; doch nach einer Weile hielt sie sich zurück, denn da war ihr eingefallen, dass es taktlos sein könnte, bei Owen mit Einkaufstüten beladen zu erscheinen. Ohnehin käme in wenigen Wochen die neue Herbstmode herein, und dann würde sie von Leyville aus nach London fahren und sich vollständig neu einkleiden.
Als sie in die Clifford Street einbog, sah sie eine vertraut wirkende Gestalt, die ihr auf dem Bürgersteig entgegenkam. Es war eine Frau in ihrem Alter, ein Gesicht aus der Vergangenheit. Kurz darauf wusste sie wieder, woher sie sie kannte und dass sie mit dieser Frau zusammen zur Schule gegangen war. Sie schaute noch einmal genauer hin, suchte nach dem Namen und fragte sich, ob die andere sie ihrerseits erkannte. Als sie voreinander standen, stellte sich heraus, dass das Erkennen beiderseitig gewesen war.
Die Frau war als Erste stehen geblieben. »Stella Montignac«, rief sie erfreut, während ihr Blick zu Stellas Händen huschte, auf der Suche nach einem Verlobungs- oder Ehering. »Vicky Hartford. Du erinnerst dich doch noch an mich, oder?«
»Selbstverständlich«, entgegnete Stella. »Es ist zwar schon lange her, aber du hast dich überhaupt nicht verändert.«
»Ich hoffe, das stimmt nicht«, sagte Vicky. »Aber wie schön, dass wir uns treffen.«
»Ja, wie schön«, antwortete Stella, obwohl sie nicht wusste, inwiefern sie sich getroffen hatten. Sie waren sich zufällig begegnet, mehr aber auch nicht.
Sie standen da, nickten einander zu und warteten darauf, dass die andere das Gespräch eröffnete, bis es schlieÃlich peinlich wurde und Stella klein beigab.
»Ich habe den ganzen Morgen eingekauft«, sagte sie matt. »Und nichts gefunden, das mir gefallen hat.«
Vicky warf einen ungläubigen Blick auf die drei Tüten, die Stella trug. »Wir haben uns ewig nicht mehr gesehen«, begann sie und senkte die Stimme, »aber ich bin froh, dass wir uns begegnet sind.« Stella ahnte, was als Nächstes kommen würde. »Letzten Monat habe ich das mit deinem Vater in der Zeitung gelesen. Es hat mir sehr leidgetan. Ständig wollte ich dir schreiben, aber immer ist mir etwas dazwischengekommen.«
»Danke«, sagte Stella.
»Kam es sehr plötzlich?«
»Es kam unerwartet«, erklärte Stella. »Zwar war er seit Jahren immer mal wieder krank, aber mit seinem Tod hatte niemand gerechnet. Er ist im Schlaf gestorben. Wenn es irgendwelche Hinweise gegeben hätte, wären wir vielleicht besser vorbereitet gewesen, aber so ist es eben. Wahrscheinlich war es ein friedlicher Tod.«
»Es muss trotzdem sehr schwer für dich gewesen sein«, sagte Vicky. »Wie kommst du denn damit zurecht?«
»Oh, mir geht es gut«, antwortete Stella leichthin und wünschte sich plötzlich, einfach gehen zu können, denn gerade war ihr auch wieder eingefallen, wie wenig sie Vicky damals hatte leiden können. Vicky war eine unerträgliche Klatschbase gewesen, erst dann glücklich, wenn sie über die Angelegenheiten anderer reden konnte, und doch bei jedermann beliebt, was eigentlich eine erstaunliche Leistung gewesen war. Ganz gleich, welche Gruppe gerade das Sagen hatte, sie schaffte es, das Böse, was sie hinter deren Rücken geäuÃert hatte, zu vergessen und so zu tun, als wäre ihr niemand lieber als derjenige, der gerade vor ihr stand. Korrupt wie ein Politiker und doppelzüngig wie ein Schizophrener war sie gewesen und somit einer der Menschen, die Stella in ihrem Schweizer Exil am wenigsten vermisst hatte.
»Mein Vater ist auch gestorben. Vor einigen Jahren«, erzählte Vicky. »Wahrscheinlich hast du davon gehört.«
»Nein«, sagte Stella und dachte, wie typisch, dass es mit einem Mal nicht mehr um mich, sondern um sie geht. »Nein, tut mir
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