Das Vermächtnis der Runen: Historischer Roman (German Edition)
und sich der Trauernden näherte. Vorsichtig ließ sie sich neben ihr nieder.
»Brighid?«
Sie reagierte nicht, und Mary berührte sie sanft an der Schulter – worauf sie wie von einer Natter gebissen zusammenfuhr.
»Was willst du?«, fuhr sie sie an, das einst so anmutige Gesicht vom Weinen aufgedunsen, die Wangen wie Glas, das von Sprüngen durchzogen war. »Rühr mich nicht an! Was weißt du schon?«
»Nichts«, gab Mary zu. »Aber ich würde gerne verstehen.«
Ein spöttisches Grinsen verzerrte Brighids Züge, das nicht zu ihrer Trauer passen wollte. »Ja«, höhnte sie, »ich kann mir vorstellen, dass du das gerne würdest. Schließlich haben wir euch alle getäuscht, jeden Einzelnen.«
»Das haben Sie ganz offensichtlich«, stimmte Sir Walter zu.
»Aber wozu?«, fragte Mary verständnislos. »Zu welchem Zweck? Nur um des Goldes willen?«
»Nein.« Brighid wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Um Rache zu nehmen. Rache für den Tod meiner Mutter.«
»Deiner Mutter?« Mary runzelte die Stirn. All das war neu und fremd für sie. »Warum? Wer war sie?«
»Ihr Name war Serena«, eröffnete Brighid, worauf sich Mary zu Sir Walter umwandte. Beide erinnerten sich, dass der alte Manus den Namen erwähnt hatte.
»Als sie eine junge Frau war, arbeitete sie als Hausbedienstete in Florenz im Palazzo eines Mannes, der sich als Herzog von Albany ausgab. In Wirklichkeit jedoch war er kein anderer als …«
»… Charles Edward Stewart, der letzte schottische Thronprätendent«, ergänzte Sir Walter.
»Sie wissen davon?«
»Ich beginne, manches zu erahnen.«
Brighid nickte. »Mit Wein hat Stewart sich meine Mutter gefügig gemacht und sie verführt, und schließlich empfing sie ein Kind von ihm …«
»… nämlich Sie«, folgerte Sir Walter wiederum.
»Du … bist eine Stewart?«, dämmerte es Mary, als Brighid nicht widersprach.
Sie nickte.
»Warum hast du das nicht gesagt?«
»Ich habe es versucht. Ich habe dir gesagt, dass ich Charles Edward gut kenne, aber du wolltest mir nicht glauben. Stattdessen hast du mich in ein Kloster abschieben wollen.«
»So ist es nicht gewesen«, widersprach Mary leise, »und das weißt du genau.«
»Warum das ganze Theater?« Quentin verlor die Geduld. »Warum haben Sie sich als blinder Passagier ausgegeben? Warum so getan, als könnten Sie sich an nichts erinnern?«
»Weil es eine willkommene Möglichkeit war, an die ebenso erhabene wie edelmütige Familie Scott heranzukommen«, eröffnete Brighid voller Spott, »und ihr Vertrauen zu gewinnen.«
»Ich verstehe.« Sir Walter nickte. »Um an die Karte aus der Genealogie zu gelangen.«
»Unser ursprünglicher Plan war anders.« Sie wandte sich wieder McCauley zu, strich über seine erkaltende Stirn. »Winston sollte sich Zugang zur Bibliothek von Abbotsford verschaffen und dort nach der Karte suchen, aber das erwies sich als unmöglich, denn der Herr des Hauses war stets auf der Hut.«
»Also wollten Sie mich beseitigen«, folgerte Sir Walter.
Sie lächelte freudlos. »Glauben Sie, was sie wollen. Tatsache ist, dass wir den Anschlag nicht verübt haben. Aber dadurch ergab sich für uns die Gelegenheit, an Abbotsford heranzukommen. Wir nahmen Kontakt mit einer Gruppe einflussreicher Finanziers auf, die in London großen Einfluss besitzen und ihre eigenen Interessen verfolgten.
Ihr Vertreter war ein Anwalt namens Milton Chamberlain.«
»Das sind die Leute, denen ich Geld schulde«, bestätigte Sir Walter. »Und es würde mich nicht wundern, wenn es auch jene Kräfte sind, die hinter der Krise und den Angriffen auf die schottische Unabhängigkeit stecken.«
»Natürlich«, meinte Mary voller Bitterkeit. »Deshalb habt ihr unsere Nähe gesucht. Die ganze Zeit über habt ihr uns zu überreden versucht, Abbotsford zu verkaufen. Und ich dachte, wir wären Freundinnen«, fügte sie bitter hinzu.
»Was ist mit Kapitän McCabe?«, wollte Quentin wissen.
»Er hat Winston und mich zusammen gesehen, also musste er sterben«, gab Brighid mit bestürzender Gleichgültigkeit zu. Nachdem ihr Geliebter tot war, schien ihr an nichts mehr gelegen zu sein. »Wir haben es wie Selbstmord aussehen lassen, und niemand hat mehr irgendwelche Fragen gestellt. Im Gegenteil«, fügte sie mit kaltem Lächeln hinzu, »haben Sie sogar noch für meine Rechtschaffenheit gebürgt, mein lieber Quentin.«
»Jeder macht Fehler«, knurrte Quentin nur, der sich jetzt fragte, wie diese Frau ihn jemals hatte faszinieren können. Nun, da sich
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