Das Vermächtnis der Schwerter
von ihrem eigenen Ausguck wiederholt: »Mehrere Segel backbord achtern!«
Gleichzeitig fuhren Abak, Shyrali und Kapitän Lessard herum und eilten zur gegenüberliegenden Reling, um über das Heck des Schiffes in die vom Ausguck gemeldete Richtung zu spähen. Zunächst konnten sie außer dem funkelnden Wasser der Bucht kaum etwas anderes erkennen, doch dann deutete der Kapitän auf einen kleinen weißen Punkt am Horizont. »Dort drüben, nahe der westlichen Küste!«
Dann sahen es auch die anderen. Dutzende Segel tanzten über den Wellen, unverkennbar eine große Flotte.
»Tja, jetzt wissen wir wenigstens, wo sie sind«, bemerkte Shyrali leichthin.
Abak schwieg zunächst, bis er seine junge Schülerin schließlich mit ernster Miene zur Seite nahm. »Ich brauche jetzt die Dienste meines besten Spitzels«, raunte er ihr so leise zu, dass die Schiffsbesatzung nichts verstehen konnte.
Ihre Augen leuchteten belustigt. »Zu viel der Ehre. Ihr glaubt also, die Ho’Nebis könnten etwas im Schilde führen?«
»Ich weiß es nicht«, gab Abak angespannt zurück. »Eigentlich halte ich den Inselherrn Turael für verlässlich, aber sein Sohn Megas bereitet mir Kopfzerbrechen. Meine Spione hätten mir zwar berichten müssen, wenn irgendetwas Unvorhergesehenes in Lechia vorgefallen wäre, aber die Tatsache, dass ein Kirchenbote aus Seewaith hierher unterwegs war, verheißt nichts Gutes. Ich muss herausfinden, was in Lechia vor sich geht.«
»Ich bin zu allem bereit«, erwiderte Shyrali eifrig.
Der Ratgeber des Königs musterte sie scheinbar zweifelnd. »Vielleicht sollte ich doch besser einen der Matrosen oder einen Soldaten schicken.«
»Ich habe mehr Erfahrung darin, mich unauffällig zu bewegen, als jeder andere an Bord und ich verstehe auch, mit meinen Dolchen umzugehen«, widersprach Shyrali empört. »Ich bin genau die Richtige für diese Aufgabe.«
Abak zögerte ein wenig, dann nickte er. »Also gut. Aber es darf niemand sehen, wie du das Schiff verlässt, also geh am besten durch das Fenster meiner Kajüte. Du musst schwimmend die Küste dort drüben erreichen, dann schlägst du dich bis zur Stadt durch und siehst dich dort um. Ich will über jede Auffälligkeit unterrichtet werden, von besonderem Interesse für mich ist jedoch, ob Megas mittlerweile von der Insel verbannt wurde. Aber gib acht, es könnte sein, dass am Ufer Wachen postiert sind! Wenn sie dich erwischen, dann war der ganze Aufwand umsonst.«
»Ich weiß – ich bin einfach unersetzlich.« Shyrali grinste und auch über Abaks Gesicht huschte ein Lächeln.
»Geh jetzt«, befahl Abak. »Ich erwarte dich in drei Stunden bei Sonnenuntergang wieder zurück.«
»Bis dahin werden diese Schiffe aber bereits hier sein«, gab Shyrali zu bedenken.
Abak winkte ab. »Lass das mal unsere Sorge sein, bring mir nur die gewünschten Informationen.«
»Hab ich Euch denn jemals enttäuscht?« Mit einem kecken Seitenblick auf ihren Lehrmeister verschwand sie wie befohlen in Abaks Kajüte.
Der königliche Berater seufzte. Seiner Schülerin schien diese Art Abenteuer sichtlich Spaß zu machen, dennoch fand er es manchmal äußerst leichtfertig, wie sie ihr Leben aus reinem Vergnügen aufs Spiel setzte. Es hatte allerdings keinen Sinn, sich einzureden, dass ihn nur wegen der großen Menge an Zeit und Geld, die er in sie investiert hatte, die Sorge um ihr Wohlergehen plagte. Er wusste es besser. So eigenartig es war, die lebenslustige Shyrali berührte sein Herz. Und gerade deshalb hatte er sie nun auf diese vollkommen sinnlose Mission geschickt. Denn wenn sie zurückkehrte, würde hier niemand mehr sein, dem sie ihre Informationen überbringen konnte.
»Kapitän Lessard, auf ein Wort.« Er winkte den Schiffsführer zu sich heran. »Ich habe Grund zu der Annahme, dass die Flotte von Ho’Neb, die sich dort nähert, einen Angriff gegen uns unternehmen wird.«
Der Unterkiefer des erfahrenen Seefahrers klappte bei diesen Worten unwillkürlich nach unten. Er brachte jedoch keinen Laut über die Lippen.
»Ihr tätet gut daran«, fuhr Abak vollkommen gelassen fort, »wenn Ihr alle Schiffe kampfbereit macht.«
»Das ist nicht Euer Ernst!« Der Kapitän hatte schließlich seine Sprache wieder gefunden. »Ich dachte, wir sollen uns hier mit der Flotte Ho’Nebs vereinigen, nicht gegen sie kämpfen!«
»Wie es scheint, haben die Ho’Nebis ihre Meinung geändert«, entgegnete Abak.
»Was bringt Euch zu dieser Vermutung, wenn die Frage gestattet ist?«
»Verschiedenes«,
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