Das Vermächtnis der Schwerter
eingedenk seines kläglichen Scheiterns bei dem Überfall auf die Kriegerschule nicht verzichten wollte.
Unterdessen verließ die Bajulatin das Schiff, ohne dass jemand Notiz davon genommen hätte. Obwohl die Sonne heiß auf die Stadt Tilet herniederbrannte, hatte die junge Frau die Kapuze ihrer Robe über den Kopf gezogen. Sie schien es sehr eilig zu haben, denn nachdem sie ein wenig Abstand zwischen sich und das Schiff des Inselherrn gebracht hatte, begann sie, in einen für eine Ordensschwester gänzlich ungebührlichen Laufschritt zu verfallen. Schließlich huschte sie in den Schatten eines Lagerhauses, das nahe am Wasser stand und sie vor neugierigen Blicken von den im Hafen liegenden Schiffen verbarg. Nachdem sie sich noch ein weiteres Mal vorsichtig umgesehen hatte, schlug sie die Kapuze zurück. Langes rotes Haar flutete über ihre Schultern herab, umspielte ein anmutiges Gesicht mit großen, mandelförmigen Augen: Es war Shyrali.
Rasch streifte Abaks wichtigste Spionin die Ordenstracht ab und knotete sie zu einem unordentlichen Bündel zusammen. Unter der Robe trug sie gewöhnliche, eher schäbig anmutende Straßenkleidung. Mit beiden Händen zerzauste Shyrali noch ein wenig ihr Haar, bis dieses ähnlich verwahrlost aussah wie Wams und Hose. Dann verließ sie den Schutz des Lagerschuppens und folgte der Kaistraße, die den Hafen von Tilet wie ein gewaltiges U umfasste. An Dutzenden von Holzstegen entlang der Straße lagen mindestens sechzig große und sicherlich nicht weniger kleine Schiffe vertäut, sodass sich ein unübersichtliches Gewirr von Masten, Leinen und Segeln ergab, in dem man nur schwer den Überblick behalten konnte. Dennoch gelang es ihr nach kurzer Zeit, die vier Gestalten ausfindig zu machen, von denen der Inselherr Megas Arud’Adakin gesprochen hatte. Der größte von ihnen stellte wirklich eine solch imposante Erscheinung dar, dass man ihn schwerlich übersehen konnte. Aber natürlich hätte Shyrali die Ecorimkämpfer auch ohne Megas’ Beschreibung wieder erkannt, schließlich waren ihr Gesichter wie Namen noch von ihrem Auftrag in Seewaith bestens vertraut, bei dem sie nicht nur Arden ausspioniert hatte, sondern natürlich auch die Menschen, mit denen er Umgang pflegte.
Die vier Ecorimkämpfer waren gerade erst am Kai angekommen und standen nun etwas unschlüssig herum, wobei Meatril und Targ offenbar in eine heftige Diskussion verstrickt waren. Shyrali beeilte sich, näher heranzukommen, bemühte sich dabei aber, mit gesenktem Kopf und unstetem Gang wie eine Bettlerin zu wirken. Bald konnte sie verstehen, was gesprochen wurde. Meatril, ein besonnener und, wie sie fand, äußerst gut aussehender Mann, redete gerade beruhigend auf den jüngeren Targ ein, dessen Gesichtsausdruck großen Ärger verriet. Der hünenhafte Deran und der kleine Etecrari Eringar beobachteten derweilen aufmerksam die Umgebung.
»Jetzt komm schon, Targ, es ist doch völlig aussichtslos, Megas hier zum Kampf zu stellen!«, versuchte Meatril gerade, seinen Gefährten zu überzeugen. »Ich kann ja verstehen, dass du dir diese Gelegenheit zur Rache nicht entgehen lassen willst, aber Megas wird hier nicht alleine auf seinem Schiff sitzen und sich von uns so einfach überwältigen lassen! Seine Truppen werden das zu verhindern wissen.«
»Mir ist egal, wie viele Wachen es dort gibt!«, rief Targ erbost. »Es mag ja sein, dass Arden vergessen hat, warum wir hier in Tilet sind. Bei den ganzen Hirngespinsten, die durch seinen Kopf kullern, wäre das auch kein Wunder. Aber ich weiß den Grund noch: Ich will Rache für meinen Bruder Estol nehmen. Techel ist zwar besiegt, aber er ist uns entwischt, bei Megas wird mir nicht das Gleiche passieren.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich Megas den Regeln des ehrenhaften Zweikampfes unterwirft«, wandte Eringar, der mit Abstand jüngste der vier, ein. »Wie ich ihn einschätze, wird er jeden Vorteil gegen uns nutzen und eine Hundertschaft Soldaten, oder wie viele auch immer unter seinem Kommando stehen, sind uns nun mal eindeutig überlegen. Ich teile deinen Hass auf Megas voll und ganz, Targ, und ich will ihm den Überfall auf die Kriegerschule auch heimzahlen, trotzdem hat Meatril recht. Gegen so viele ist ein Angriff völlig aussichtslos.«
»Wenn Megas nicht mit unserem Erscheinen rechnet, sind unsere Erfolgsaussichten vielleicht gar nicht so schlecht«, bemerkte der riesenhafte Deran, der, wie Shyrali wusste, nicht gern viele Worte machte.
Targ nickte
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