Das Vermächtnis der Schwerter
in deinen Palast geholt?« Er wandte sich wieder an die fassungslosen Wachen. »Was für eine schreckliche Tragödie«, rief er ihnen schluchzend zu. »Nagas hat sein Schwert gegen unseren Vater gerichtet, weil Turael sich doch noch eines Besseren besann und mich als Thronfolger belassen wollte. Mein Bruder muss den Verstand verloren haben! Er ist wie besessen auf uns losgegangen! Ich hatte nicht einmal ein Schwert zur Verteidigung und bin auch nur knapp dem Tod entronnen.« Zum Beweis erhob er sich mühevoll und hielt den Gardisten seinen blutenden Arm vor die Nase. »Erst euer Kommen hat Nagas’ Wahnsinn Einhalt geboten.« Anklagend sah er seinem Bruder ins blutleere Gesicht.
Unterdessen war auch der Kanzler mit hochrotem Kopf herbeigeeilt, aber beim Anblick des blutigen Gemetzels blieb er wie angewurzelt stehen. »Warum sollte Nagas so etwas tun?«, entfuhr es ihm, weil er nicht glauben wollte, was Megas da erzählte. »Euer Vater hatte die feste Absicht …«
In diesem Augenblick torkelte Megas wie kurz vor einem Ohnmachtsanfall nach vorn und klammerte sich Halt suchend an der Schulter des erschrockenen Kanzlers fest. »Überlegt Euch gut, was Ihr jetzt sagt«, raunte er diesem so leise zu, dass die anderen im Raum es nicht hören konnten. »Ich bin noch immer der legitime Thronfolger – der Inselbann wurde nie offiziell ausgesprochen. Ihr solltet Euch gutstellen mit Eurem zukünftigen Herrn, ich hoffe, Ihr denkt daran.«
Etwas lauter, sodass es auch die nahe stehenden Wachen mitbekamen, fügte er dann hinzu: »Verzeiht meinen Schwächeanfall, die Verwundung ist wohl doch ernster, als ich dachte. Was wolltet Ihr sagen, werter Kanzler?«
Der alternde Staatsdiener zögerte einen Moment, dann antwortete er leise: »Eine schlimme Tat. So etwas hätte man nie von Nagas erwartet.«
Megas nickte beipflichtend. »Das ist wahr. Wachen! Führt diesen Schuft ab, ich werde mich später um ihn kümmern. Jetzt muss ich mich erst einmal zurückziehen, meine körperlichen und seelischen Wunden sitzen tief. Bitte entschuldigt mich nun.«
Ohne ein weiteres Wort ließ Megas den erschütterten Kanzler hinter sich und verließ unbehelligt den Thronsaal. Ein überwältigendes Gefühl des Triumphs stieg in ihm auf. Er hatte abermals bewiesen, dass er in kritischen Situationen kühlen Kopf bewahren konnte und die Entschlossenheit besaß, das Notwendige zu vollbringen. Jetzt wollte er sich nur noch das Blut vom Körper waschen, neue Gewänder anlegen und dann durfte er sich auf ein erholsames Stelldichein mit der jungen Tabuk freuen. Sie würde sich sicherlich auch liebevoll der sich von ihm selbst beigebrachten, oberflächlichen Schnittwunde an seinem linken Arm annehmen.
GEISEL EINES VERRÜCKTEN
R ai schlug die Augen auf. Das Licht einer Fackel war das Erste, woran sich sein suchender Blick klammern konnte. Der freundliche Schein des Feuers enthüllte jedoch zunächst nichts, außer das feucht glitzernde schwarze Mauerwerk eines Raumes, der allerdings merkwürdig auf dem Kopf zu stehen schien. Rais Körper umgab kalte Nässe, die er bis in die Knochen spürte. Seine Haut und Muskeln fühlten sich beinahe taub an. Er lag auf einem sehr harten Boden, so viel stand fest. Aber etwas war seltsam: Bei jedem Ausatmen durchzogen gekräuselte Wellen den düsteren Raum, als bestünden die Wände nicht aus Stein, sondern aus Flüssigkeit.
Noch etwas benommen versuchte Rai, die eigenartigen Bilder zu verstehen, die ihm sein Gesichtssinn vermittelte. Er schloss seine Augen in der Hoffnung, dass sich das, was er gerade gesehen hatte, vielleicht zu einem vernünftigeren Ganzen zusammensetzen würde, wenn er seine Lider wieder hob. Doch erst als er beim nächsten Augenaufschlag seinen Kopf ein wenig bewegte, begriff er, was er sah: Der Raum, in dem er sich befand, spiegelte sich in einer Wasserlache am Boden wider. Rai lag der Länge nach inmitten des modrigen Wassers und sein Kopf ruhte auf die linke Wange gebettet in der Lache, sodass das Erste, was er gesehen hatte, als er die Augen wieder öffnete, das Spiegelbild auf der Wasseroberfläche gewesen war. Die Pfütze schien glücklicherweise nur einen Finger tief zu sein, wodurch seine Augen und Nasenöffnungen frei geblieben waren. Ansonsten wäre er wahrscheinlich während seiner Besinnungslosigkeit jämmerlich ertrunken. Die Wassermenge war jedoch ausreichend gewesen, sodass sich seine gesamte Kleidung damit vollgesogen hatte und er sich nun fühlte, als habe er stundenlang in
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