Das Vermächtnis der Schwerter
werfen. Immerhin hatte er ihn seit vierzehn Jahren nicht mehr gesehen und bei ihrer Trennung war dieser noch ein Säugling gewesen.
Unmittelbar vor dem größten Fenster des Saals stand ein bei all dem Prunk überraschend schlicht gehaltener, gemauerter Thron, auf dem Megas die gebeugte Gestalt seines Vaters erkannte. Dreisterweise gleich daneben, auf einem etwas niedrigeren Sitz, der eigentlich ihm, dem ältesten Sohn und Thronfolger, vorbehalten war, saß ein schmächtiger Jüngling mit einem blassen, bartlosen Gesicht, der nervös in seine Richtung blinzelte. Die glänzende Rüstung des jüngsten Arud’Adakin saß schief, war viel zu weit und auch das Schwert an seiner Seite konnte nicht verhindern, dass er einen reichlich lächerlichen Eindruck vermittelte. Megas befand ihn nicht für würdig, weiter beachtet zu werden, und wandte sich stattdessen direkt an den Inselherrn.
»Vater!«, rief er voll beißendem Sarkasmus. »Wie musst du dich freuen, mich wieder zu sehen. Du kommandierst die halbe Garde ab, um sie mir zu Ehren vor dem Thronsaal Spalier stehen zu lassen, und jetzt beglückst du mich sogar noch mit der Anwesenheit meines kleinen Bruders, den ich so lange nicht sehen durfte. Kann man sich eine schönere Heimkehr wünschen?«
»Ich kann nicht sagen, dass es ein frohes Wiedersehen ist«, drang die dünne, brüchige Stimme von Turael Arud’Adakin unter seinem zerzausten Vollbart hervor. »Vielleicht bin ich nicht mehr so entschlusskräftig wie einst, aber wenn mein ältester Sohn die gesamte Flotte gegen mich aufwiegelt und in der Nähe meiner Hauptstadt zusammenzieht, dann weiß ich doch, dass es geboten ist, zu handeln. Hast du wirklich geglaubt, ich würde diesen Akt des Aufruhrs einfach hinnehmen?«
»Hast du wirklich geglaubt, ich würde dir deine Tatenlosigkeit verzeihen, als ich vom König in die Verbannung geschickt wurde?«, konterte Megas mit einer Gegenfrage.
»Du warst schuldig«, entgegnete der Inselherr, ohne seine Stimme zu heben. »Du hast die HoToba-Rebellen mit Waffen aus unseren Rüstkammern unterstützt. Dein Glück, dass du nicht hingerichtet wurdest.«
»Ich wette, selbst dann hättest du den Weinschlauch nicht aus der Hand gelegt, um deinem Sohn beizustehen«, gab Megas boshaft grinsend zurück. »Nicht gerade erbaulich, in deiner Gunst hinter einer mit Rebensaft gefüllten Tierhaut zurückzustehen. Aber ich habe mich daran gewöhnt, einen verweichlichten Säufer zum Vater zu haben.«
Selbst nach dieser Beleidigung geriet Megas’ Vater nicht ernsthaft in Wut, sondern sprach mit derselben monotonen Gleichgültigkeit weiter wie zuvor: »Wenn deine Mutter diese lästerlichen Reden noch hören könnte, würde sie sich vor Gram in ihr Zimmer einschließen. Sie würde nicht glauben wollen, was für ein Mensch ihr geliebtes Kind von damals geworden ist.«
»Wenn meine Mutter sehen könnte, wie du dich gehen lässt und was durch deine Schwäche aus unserem Reich geworden ist, dann würde sie sich wahrscheinlich in das nächste Schwert stürzen.« Megas näherte sich seinem Vater, um ihn einer genaueren Musterung zu unterziehen. Turaels Haare hingen strähnig herab, seine Nase war dick und aufgequollen, sein Wanst wölbte sich über seinen Gürtel. Megas sah ihm in die rot geränderten Augen und auch heute konnte der Inselherr dem Blick seines Sohnes nicht standhalten.
»So wie du aussiehst«, stellte Megas fest, »solltest du mir eigentlich dankbar sein, dass ich heute gekommen bin, um dich von der Bürde deines Amtes zu befreien. Warum widmest du dich nicht vollauf deinen Weinschläuchen und überlässt mir das Regieren, damit man sich nicht mehr schämen muss, ein Ho’Nebi zu sein?«
Der Inselherr versuchte, sich schnaufend ein wenig aufrechter hinzusetzen. »Weil du keinen Anstand hast«, gab er leidenschaftslos zurück. »Du achtest nichts, keine Ehre, keine Gerechtigkeit, noch nicht mal deine Familie. Jemand wie du sollte kein Volk beherrschen dürfen, so viel steht fest.«
»Das trifft mich jetzt wirklich hart«, erwiderte Megas voller Hohn. »Ein trunksüchtiger Versager hält mich für moralisch unzureichend, sein Nachfolger zu sein. Ich weiß kaum, wie ich meinen Kummer über diese Zurückweisung bewältigen soll. Aber ich fürchte, dir wird nicht viel anderes übrig bleiben, als mir den Thron zu überlassen.« Er sah zu seinem Bruder hinüber, der die ganze Zeit über furchtsam die Auseinandersetzung verfolgt hatte. »Denn du kannst unmöglich beabsichtigen, diesen
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