Das Vermächtnis der Schwerter
einem kalten See gelegen.
Ächzend stemmte er den Kopf hoch, was sofort ein dumpfes Pochen an seiner linken Schläfe hervorrief. Vorsichtig befühlte er die Stelle und stellte fest, dass dort eine offene Platzwunde prangte. Es fiel ihm überraschend schwer, seine steifen Gliedmaßen zielgerichtet zu bewegen. Rai erhob sich auf alle viere und bemühte sich, das massive Zittern, welches seine Beine und Arme bei der plötzlichen Anstrengung erfasste, unter Kontrolle zu bringen. Er fühlte sich wie ein Welpe bei den ersten Gehversuchen. Schließlich gelang es ihm, sich hinzuknien und ein weiteres Mal in seinem quadratischen Steinverlies umzusehen. Die Fackel, die für ein wenig Helligkeit sorgte, steckte in einem rostigen Eisenhalter unmittelbar neben einer breiten Holztür, welche den einzigen Ausgang aus dem Raum verschloss. Ansonsten waren nur noch einige Fässer an einer der Wände aufgestapelt. Es schien sich wohl um einen alten Lagerraum zu handeln, der wegen der Feuchtigkeit zu nichts anderem mehr zu gebrauchen war, als wasserdichte Behältnisse und gelegentlich einmal unglückliche Gefangene wie ihn darin aufzubewahren, dachte Rai.
Mit einer weiteren Kraftanstrengung kam er endlich auf die Füße, musste sich aber sogleich an der nächstgelegenen Wand abstützen, weil seine immer noch kraftlosen Beine ihm den Dienst verweigern wollten. Mühsam tastete er sich bis zu der Tür des Raumes, um sich das Schloss näher anzusehen. Eine Klinke fehlte, das Schlüsselloch war groß und der Schließmechanismus sah nicht allzu kompliziert aus – eben ein ganz simples Türschloss für einen bedeutungslosen Vorratsraum. Aber so einfach die Verriegelung auch sein mochte, ohne das geeignete Werkzeug erfüllte auch sie hundertprozentig ihren Zweck, nämlich ungebetene Gäste draußen und eventuelle Gefangene drinnen zu halten. Diesmal gab es keine Küche mit diversen nützlichen Utensilien wie bei Rais damaligem Eindringen in die Vorratskammer des Wachturms am Mineneingang. Wer auch immer ihn hier unten eingeschlossen hatte, war sehr gründlich beim Durchsuchen seiner Kleidung gewesen. Seine verborgenen kleinen Helfer, die er sich in den vergangenen Tagen aus den Lagern der Festung zusammengesucht hatte, waren allesamt verschwunden. Darunter wäre neben einem kurzen Messer, einem Angelhaken mit Schnur und zwei Eisennägeln auch ein zurechtgefeilter Schlüssel gewesen, der sich hervorragend als Dietrich hätte einsetzen lassen. Aber auch die anderen Werkzeuge hätten notfalls weiterhelfen können, so aber standen ihm lediglich die paar eingelagerten Fässer zur Verfügung, mit denen er in diesem Fall nun wirklich nichts anfangen konnte. Aber zumindest verdursten würde er in diesem Raum nicht, vorausgesetzt natürlich, die Fässer enthielten irgendein genießbares Getränk.
Rai presste sein Ohr gegen die Tür. Vielleicht konnte er wenigstens etwas über seine Kerkermeister erfahren. Der junge Tileter erinnerte sich an die Zeit vor seiner Ohnmacht nur noch äußerst dürftig. Eigentlich wusste er lediglich, dass es bei der Versammlung in der Markthalle irgendeine Auseinandersetzung gegeben hatte. Daher ging er davon aus, dass ihn dabei jemand niedergeschlagen hatte. Wie und warum er dann aber in diesem Kellerverlies gelandet war, blieb ein Geheimnis seines lückenhaften Gedächtnisses.
Zunächst hörte Rai durch die Holztür nichts außer dem Echo seines klopfenden Herzens. Dann vernahm er ganz leise eine Stimme aus dem dahinter liegenden Raum, die ihm sofort bekannt vorkam.
»… wirst du den Schlüssel nicht von mir bekommen, Nessalion. Lass gefälligst die Finger von dem kleinen Bastard.« Es war Ferrag, der Hundeführer.
»Jetzt habe ich die Gelegenheit, mich zu rächen«, widersprach die Stimme, die offenbar Nessalion gehörte. »Ich werde ihn zurück in die Minen bringen, wo dieser Mörder hingehört, und dort werde ich ihn so lange Rötelbrocken schleppen lassen, bis er tot umfällt! Er soll dort in einem finsteren Felsenloch sterben wie mein Sohn, ohne jemals wieder die Sonne zu sehen. Und seinen Leichnam wird der Fluss davonspülen, so wie die Leiche meines Sohnes, auf dass niemand je an seinem Grab stehen kann, um seiner zu gedenken.«
Die Kälte, die seine Muskeln zittern ließ, schien nun auch nach Rais Herz zu greifen. So viel Hass! Wie ein Schwall Eiswasser trafen ihn die zurückkehrenden Erinnerungen. Nessalion hatte ihn niedergeschlagen! Anscheinend hatte er sich mit Ferrag verbündet und ihn mit dessen
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