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Das Vermächtnis der Schwerter

Titel: Das Vermächtnis der Schwerter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Rothballer
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die weit ausladende Treppe hinunter, die er Nataol gerade nach oben begleitet hatte. Der Citdiener sah ihm nachdenklich hinterher. Erst als der Krieger aus Nataols Blickfeld verschwunden war, wandte der Hohepriester sich um und öffnete die Tür zum Dach. Dort warteten bereits zahlreiche Tempeldiener und Gläubige, die sich um den Altarstein versammelt hatten, um den Worten des Glaubensführers lauschen zu können.

 
SPURENSUCHE
     
    D ie Blätter der nahen Bäume wisperten wie Tempelbesucher vor dem Morgengebet. Durchdringend übertönte der Ruf eines Waldvogels das Laubgeflüster. Aber seine eigenen, schlurfenden Schritte auf der gepflasterten Straße erschienen Rai in der stickigen Dunkelheit, die ihm der übergestülpte Jutesack aufzwang, als das bei Weitem lauteste Geräusch. Rai konnte seine Füße kaum noch einen Fingerbreit weit anheben. Er war einfach zu erschöpft. Schon zu Beginn des Marsches hatte es um seine Kräfte nicht zum Besten gestanden, aber nachdem er von Nessalion zuerst durch einen engen, nasskalten Gang und einen schrecklich steilen scharfkantigen Felsspalt gezwungen worden war, hatte er auch noch eine Kletterpartie über einige große Felsen absolvieren müssen, an deren Kanten er sich wiederholt die Haut an den Beinen aufgerissen hatte. Ohne diesen muffigen Sack über dem Kopf hätte er den messerscharfen Felszähnen wohl problemlos ausweichen können, aber hinter dem grobmaschigen Jutegeflecht konnte er so gut wie nichts erkennen.
    Nun, da sie sich auf der gepflasterten Straße bewegten, fanden zwar seine Füße wieder sicheren Tritt, aber der Weg führte ständig bergauf, sodass seine Beine sich anfühlten, als hätte jemand Sand hineingekippt. Zu allem Überfluss wies das Ansteigen der Straße auch unverkennbar daraufhin, dass Nessalion tatsächlich seinen aberwitzigen Racheplan wahr machen und seinen Gefangenen zurück ins Bergwerk bringen wollte. Aber Rai durfte jetzt seine Gedanken nicht an die vor ihm liegenden Schrecken verschwenden, denn er hatte genug damit zu tun, einen Schritt nach dem anderen zu machen, ohne zusammenzubrechen. Er versuchte, sich auf Nessalion zu konzentrieren, von dem außer einem gelegentlichen Ziehen an der Sackkordel kaum etwas zu bemerken war. Vielleicht würde er irgendetwas Aufschlussreiches von sich geben, das Rai half, seinen Entführer doch noch zur Umkehr zu bewegen. Schließlich war alles verhandelbar, das hatte Rai auf der Straße gelernt, man musste nur etwas entdecken, das man dem Verhandlungspartner als Gegenleistung anbieten konnte.
    Aber was sollte das in Nessalions Fall sein? Jemand, dem alles genommen worden war, für das er je gelebt hatte, ließ sich schwer davon überzeugen, sein Interesse auf etwas anderes zu richten. Diese Erfahrung hatte Rai bereits mit Arton machen müssen, dennoch war es ihm schließlich gelungen, ein gewisses Vertrauensverhältnis zu dem verbissenen Kämpfer aufzubauen, auch wenn dies bisher noch nicht zu einer echten Freundschaft gereicht hatte. Letztlich war es Rais beherztem Rettungsversuch bei der Überflutung des Bergwerks zu verdanken gewesen, dass Arton sich in der Folge ein wenig zugänglicher gegeben und den kleinen Tileter letztlich sogar vor Ulags Zorn bewahrt hatte. Mit Hartnäckigkeit und großem persönlichem Einsatz war Rai in diesem Fall an sein Ziel gelangt und vielleicht könnte er auf die gleiche Weise auch bei Nessalion Erfolg haben. Er durfte sich einfach nicht von dessen verblendetem Hass abschrecken lassen, sondern er musste all seine Überredungskunst aufbieten, damit sein Bewacher den Tod Warsons als bedauerliches Unglück erkannte und nicht Rai dafür die Schuld zuschob. Allerdings schränkten sowohl sein schlechtes Gewissen in Bezug auf Warson als auch die festgeknotete Sackfessel seinen Bewegungsspielraum bei diesem Unterfangen massiv ein.
    »Nessalion?«, begann Rai vorsichtig.
    »Was?«, knurrte dieser unwillig.
    »Könntest du den Sack ein wenig öffnen«, säuselte Rai. »Ich bekomme kaum noch Luft.«
    »Nichts da«, erwiderte sein Bewacher kalt. »Ich weiß, dass du schnell wie ein Wiesel bist. Ich werde dir nicht die Gelegenheit geben, deiner Bestrafung zu entgehen.«
    »Ich meine ja nicht, dass du meine Arme befreien sollst«, versuchte es Rai weiter, »sondern nur, dass du vielleicht einen kleinen Schlitz oben hineinmachst, damit ich besser atmen kann und auch etwas sehe. Ich kann ja verstehen, dass Ferrag mir den Sack übergestülpt hat, damit ich nicht erkennen kann, wo sein

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