Das Vermächtnis der Schwerter
gelassen hatten und einem weiteren abwärtsführenden Gang folgten, spähte der junge Tileter daher besonders sorgfältig in jeden abzweigenden Querschlag oder anderen dunklen Winkel, damit ihm auch ja nichts Bedrohliches entging.
Aber die gefürchteten Wesen aus der Zwischenwelt blieben unsichtbar, stattdessen wurde der Gang, der unentwegt weiter abfiel, plötzlich so niedrig, dass selbst der klein gewachsene Rai den Kopf einziehen musste. Anders als bisher fühlten sich die Wände hier roh und scharfkantig an, so, als wäre der Stollen erst kürzlich durch den Fels getrieben und die Bruchkanten noch nicht durch das häufige Passieren von Arbeitern stumpf geschliffen worden. Ihr Fortkommen verlangsamte sich nun ganz erheblich, wobei die gebückte Haltung und die weiter zunehmende Hitze allen in der Gruppe den Schweiß aus den Poren trieb.
Unvermittelt mündete der Tunnel in eine kleine, spindelförmig nach oben zulaufende Höhle, aus deren Wänden bizarre, steinerne Auswüchse hervorragten. Im Licht der Fackeln warfen diese sonderbar geformten Felsen zackige Schatten an die Wände, in denen Rai sämtliche Geister der Unterwelt zu erkennen glaubte. Um seine Furcht nicht überhand nehmen zu lassen, heftete er seinen Blick stur auf den Rücken des vor ihm gehenden Xeliten und versuchte, die zuckenden Schattenwesen zu beiden Seiten zu ignorieren. Sie passierten einen weiteren gemeißelten Verbindungsgang, bis sie schließlich in eine größere Höhle gelangten, deren Aussehen der ersten glich. Die Hitze war hier so drückend, dass eine kurze Pause eingelegt wurde und sich mehrere der Xeliten ihrer Oberkleider entledigten. Unter ihren verhüllenden Kapuzenmänteln kamen jene flammenförmigen Brandmale auf Oberkörper, Gesicht und ihren weitgehend kahl rasierten Schädeln zum Vorschein, die Rai schon bei seiner ersten Auseinandersetzung mit dem Xelitenanführer aufgefallen waren. Allerdings bedeckten die eingebrannten Symbole die Haut bei niemandem so lückenlos wie bei dem obersten Xelosjünger. Außerdem fiel Rai bei dieser Gelegenheit auf, dass der Anführer mit seinen geschätzten vierzig Jahren offenbar bei Weitem der Älteste in der Gruppe war, während wohl keiner seiner Glaubensbrüder bereits das zwanzigste Lebensjahr erreicht hatte.
Einige der Xeliten traten nun unter die herabhängenden Felsnasen, öffneten den Mund und warteten geduldig, bis ihnen ein paar spärliche Wassertropfen in den Mund liefen. Offenbar fand das Oberflächenwasser selbst bis in diese Tiefe seinen Weg durchs Gestein, wenngleich es auch nicht viel war, was hier unten ankam.
Als Rai sich zaghaft in der gewaltigen, zerklüfteten Höhle umsah, fiel ihm ein weiteres Mal ein Schatten an der über ihnen liegenden Decke auf, der sich eigenartig zu bewegen schien. Natürlich wusste Rai, dass Angst selbst den harmlosesten Schattenfleck zum Leben erwecken konnte, aber diese dunkle Form zuckte nicht wie die anderen im Rhythmus der Fackelflammen hin und her, sondern sie schien zielstrebig von der rechten Seite der Höhlendecke zur linken hinüberzuwandern. Dabei wechselte der Schatten zwischen schneller Fortbewegung und regungslosem Abwarten, so, als würde er in der Deckung der Felszacken verharren, bis er einen weiteren Streckenabschnitt zurückzulegen wagte. Rai vermochte seine Augen nicht von diesem mysteriösen Etwas zu lösen. Hatte nun doch ein Dämon ihre Fährte aufgenommen und wollte sich in einem unachtsamen Moment eines ihrer Körper bemächtigen? Aber diese Xeliten waren doch eindeutig schon öfter hier gewesen, warum waren sie dann nicht mehr auf der Hut?
In diesem Moment kehrte einer der Xelosanhänger, der seinen Durst notdürftig an den tropfenden Steinen gestillt hatte, zur Gruppe zurück und der Schein seiner Fackel streifte das Wesen, das Rai über ihren Köpfen ausgemacht zu haben glaubte. Was sich dem jungen Tileter dabei enthüllte, jagte ihm trotz der Hitze einen kalten Schauer über die Haut: Mindestens acht lange, behaarte Beine waren erkennbar. Und zwar an einem zweigliedrigen Körper, bestehend aus einem fahlen weißlichen Hinterleib so groß wie ein Kürbis und einem schmalen Vorderleib mit einer unüberschaubaren Zahl von glänzenden dunklen Augen und zwei furchterregenden Greifklauen im Bereich des Mundes. Für einen Moment vergaß Rai, zu atmen. Sein Magen rebellierte, seine Nackenhaare stellten sich auf und seine Augen schienen aus ihren Höhlen springen zu wollen. Eine Spinne – so groß wie ein Hund! Und keiner
Weitere Kostenlose Bücher