Das Vermächtnis der Schwerter
seiner stummen Gleichgültigkeit gelöst hätte. Die größte Lücke war gerade einmal eine Hand breit, was selbst für den schmalen Tileter nicht ausreichte, um hindurchzuschlüpfen. Rai gab seine Hoffnung auf. Eigentlich hätte jetzt von Neuem eine Welle der Angst über ihn hinwegrollen müssen, besonders nachdem der Anführer der Xeliten zuvor von der Vorbereitung einer »Opferung« gesprochen hatte, aber Rais Erschöpfung verhinderte dies. Statt sich von Verzweiflung und Furcht übermannen zu lassen, kauerte er sich einfach, mit dem Rücken an die Höhlenwand gepresst, auf den warmen Steinboden und gab sich dem gnädigen Vergessen des Schlafes hin.
Arton hielt einen groben Sack in Händen, den man durch das Zusammenziehen einer eingenähten Kordel verschließen konnte und dessen Boden aufgeschlitzt worden war. Nachdenklich besah er sich das unscheinbare Fundstück, bis schließlich Kawrin mit einer brennenden Fackel in der Hand vor ihn trat und niedergeschlagen verkündete: »Ich habe keine weiteren Spuren finden können, sie könnten überallhin gegangen sein.«
Arton schwieg und starrte weiter auf das Jutegeflecht in seiner Hand.
»Ich schlage vor, dass wir die einzelnen Stollen der Reihe nach absuchen«, fügte Kawrin ungeduldig hinzu. »Fangen wir in der Westsohle an, da kenne ich mich am besten aus und außerdem können wir hoffen, dass wir dort nicht auf Xeliten treffen.«
Der Krieger machte immer noch keine Anstalten, sich zu bewegen.
»Also was ist nun«, erkundigte sich Kawrin zunehmend ungehalten, »stehen wir hier noch eine Weile herum oder suchen wir nach Rai?«
Langsam, aber entschieden schüttelte Arton endlich den Kopf. »Wir sollten nicht mit der Westsohle beginnen«, sagte er bedächtig. »Wir müssen in die Oststollen.« Damit ließ er den Sack zu Boden gleiten und ging in die besagte Richtung los.
Doch nun konnte sich Kawrin nicht mehr beherrschen. »Wieso zum Henker glaubst du eigentlich, dass du solche Entscheidungen allein treffen kannst?«, rief er dem wortkargen Kämpfer so laut zu, dass seine Stimme von den Höhlenwänden zurückhallte. »Die Osttunnel sind schon immer in der Hand der Xeliten gewesen, da ist es für uns am Gefährlichsten! Es gibt hingegen keinen guten Grund, warum wir Rai nicht in der Westsohle suchen sollten, außer dass es mein Vorschlag war und nicht deiner. Musst du denn wirklich immer allen deinen Willen aufzwingen? Ich habe das so was von satt!«
Arton blieb stehen und wandte sich nach dem erzürnten Kawrin um, woraufhin dieser unwillkürlich einen Schritt zurückwich. Der verächtliche Blick des Kämpfers machte mehr als deutlich, dass er diesen Ausbruch seines Begleiters bestenfalls als zeitraubenden Unsinn betrachtete. Dennoch rang er sich zu einigen erklärenden Worten durch:
»Wenn du den Sack genauer betrachtet hättest, dann wären dir die Blutspuren an der Verschlusskordel aufgefallen. Es sieht so aus, als hätte sich dort jemand wund gescheuert, was darauf schließen lässt, dass dieser Sack als Fessel verwendet wurde. Der Schlitz könnte gemacht worden sein, damit der Gefangene besser atmen kann. Die Tatsache, dass dieser Sack nun hier auf dem Höhlenboden liegt, kann eigentlich nur bedeuten, dass sich der damit Gebundene befreit hat oder befreit wurde. Wenn dieser Gefangene Rai war, wovon ich ausgehe, dann wäre er, um zu entkommen, mit größter Wahrscheinlichkeit hier das Seil der Transportgondel nach oben geklettert, da er Nessalion an Geschicklichkeit bei Weitem überlegen sein müsste und ihn auf diesem Fluchtweg mit Leichtigkeit hätte abhängen können. Da wir Rai am Eingang der Mine aber nicht angetroffen haben, muss etwas anderes geschehen sein, nachdem er sich befreit hat. Ich sehe es als die naheliegendste Möglichkeit an, dass er den Xeliten in die Hände gefallen ist. Deshalb werde ich als Erstes die Oststollen erkunden, wo sich diese Fanatiker verkrochen haben. Falls er nicht dort ist, haben wir lediglich ein paar Stunden verloren und können danach woanders suchen. Wenn sich Rai jedoch in der Gewalt dieser unberechenbaren Glaubensmänner befindet, ist größte Eile geboten, denn ich habe selbst miterlebt, wie wenig ihnen das Leben anderer bedeutet. Es steht zu hoffen, dass ich nicht bereits zu viel Zeit damit vergeudet habe, dir meine Entscheidung zu erklären. Du kannst natürlich tun, was immer du willst, es zwingt dich keiner, mir zu folgen.« Damit wandte sich Arton um und setzte seinen Weg zum Eingang der Oststollen
Weitere Kostenlose Bücher