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Das Vermächtnis der Schwerter

Titel: Das Vermächtnis der Schwerter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Rothballer
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auszubrüten, konnte den Horror der furchtbaren Spinnenmeute übertreffen, so viel schien sicher. Daher wurde Rai angesichts seiner bevorstehenden Opferung nicht in erster Linie von Furcht erfüllt, sondern ihn überkam eher so etwas wie trotziger Zorn, dass er nun doch noch den Tod finden sollte, obwohl er bereits ein viel schrecklicheres Erlebnis überstanden hatte. Das empfand er als äußerst ungerecht.
    Das Leuchten wurde heller. Bald löschten die Xeliten ihre Fackeln, weil sie als Lichtquelle überflüssig waren. Die große Hitze ließ die Schweißtropfen auf Gesicht und Händen sofort verdunsten, sodass die Haut sich bei jeder Bewegung über Knöcheln und Wangen spannte wie ein trockenes Pergament. Unablässig musste Rai blinzeln, denn auch seine Augen waren vor dem heißen Wind aus der Tiefe nicht gefeit.
    Der Gang verlief weiter abwärts und bog in einer sanften Kurve nach links ab. Dann öffnete sich der Stollen plötzlich und entließ sie auf eine breite Felsenplattform, die in eine Kaverne hineinragte, deren Größe selbst die riesige Eingangshöhle des Bergwerks noch übertraf. Die Decke dieser mächtigen Höhle lag mindestens zehn Meter über ihren Köpfen, während sie von ihrer Position aus noch gar nicht erkennen konnten, wie weit der Abgrund unterhalb der Plattform in die Tiefe reichte. In andächtiger Ruhe hatten sich bereits etwa vierzig Xeliten dicht gedrängt am Rande der Plattform versammelt und starrten regungslos hinab. Aus der Tiefe kam ein rotgoldenes Glühen. Gleich würde der geschundene Tileter erfahren, welcher wundersamen Quelle der warme Schein entsprang. Obwohl er es selbst nicht für möglich gehalten hätte, regte sich allen Widrigkeiten zum Trotz seine Neugier. Welches göttliche Geheimnis verbarg sich in diesem Abgrund?
    Kurz nachdem die Xeliten mit den Gefangenen die Höhle betreten hatten, kam plötzlich Bewegung in die Umstehenden. Es bildete sich eine Gasse, durch die Rai und Nessalion bis kurz vor den Abgrund herangeführt wurden. Dort erwartete sie mit versteinerter Miene der Feuerherold mit seinem brennenden Stab in der Hand.
    »Bringt die Frevler zu mir, auf dass sie in Xelos’ reinigenden Flammen Läuterung erfahren!« Seine Stimme wurde untermalt von einem tiefen Grollen, das tief aus der Erde zu kommen schien, so als bestätige der Gott Xelos selbst die Worte seines Dieners. »Ihr verirrten Seelen«, wandte sich der Xelitenführer direkt an die Gefangenen, »werdet nun Zeuge der göttlichen Pracht, sehet die heilige Halle des Feuers! Erstarrt in Ehrfurcht, denn dies wird der großartigste und zugleich letzte Anblick eures sündigen Lebens sein.«
    Daraufhin wurden die beiden Gefangenen bis an die Kante der Felsenplattform geführt. Rai sah hinab. Er hatte leichtfertig geglaubt, nach seinem Erlebnis mit den Spinnen könnte ihn nichts mehr ernsthaft schockieren. Dennoch brachen bei seinem Blick in den Abgrund Entsetzen und Faszination mit aller Macht über ihn herein: Das Tor zur Unterwelt – es lag zu seinen Füßen. Obwohl er noch lebte, befand er sich jetzt bereits nur etwa fünfzig Schritt von Xelos’ Feuer entfernt, eine Fläche so groß wie ein Marktplatz, direkt unter ihm. Rot glühende Gesteinsklumpen trieben auf einem See aus zähflüssigem Licht. Rai wusste nicht, ob es sich bei dieser hellgelb leuchtenden Substanz um geschmolzenes Gestein oder geronnenes Feuer handelte, denn er hatte etwas Derartiges noch niemals gesehen. In der Mitte des gewaltigen Schmelztiegels wurde die Oberfläche immer wieder nach oben gewölbt, so als lebe eine riesenhafte Kreatur unterhalb der zähen Glut. Wie siedendes Öl begann nun die leuchtende Masse zu brodeln und mit einem ohrenbetäubenden Donnern wurde eine flammende Fontäne aus dem Feuersee in die Höhe geschleudert. Xelos schien bereits nach seinen Opfern zu greifen.
    Rai wusste nicht, wie er das, was er sah, begreifen sollte. Es war einfach zu mächtig, als dass es sein Verstand zur Gänze hätte erfassen können. Doch es gab einige Dinge, die er sehr gut verstand: So majestätisch dieses Tor zur Unterwelt auch sein mochte, es stellte eine Passage ohne Wiederkehr dar. Und bevor man die Hallen der Toten betreten durfte, musste in den heiligen Flammen eine Reinigung von allen Sünden erfolgen. Dies konnte je nach Grad der Verfehlung unterschiedlich lange dauern, so erzählten es die Alten. Trotz aller Entschuldigungen, die Rai für seine verschiedentlichen Missetaten auch vorzubringen hatte, war ihm bewusst, dass er in

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