Das Vermächtnis der Schwerter
ein einziges Wort stürzte sich Nessalion plötzlich von der Seite auf den Feuerherold und riss ihn von den Füßen. Der überrumpelte Xelitenführer schrie laut auf, dann nahm ihn Nessalion mit über die Kante in den glühenden Abgrund.
ANNÄHERUNG
E s war vorüber. Schockiert von dem plötzlichen Tod ihres Anführers hatten sich alle Xeliten zu einem stillen Gebet an der Abbruchkante über dem Feuersee versammelt. Nicht ein einziger war auf den Gedanken gekommen, noch eine Hand gegen die Eindringlinge zu erheben, so als hätte der Verlust ihres herrischen Glaubensführers ihnen jeden Grund für Feindseligkeiten genommen. Auch Rai saß erschöpft am Rande des Abgrunds und starrte hinab, bis die aufsteigende Hitze seine Augen so sehr ausgetrocknet hatte, dass es schmerzte. Trotzdem konnte er seinen Blick nicht von der wogenden Glut abwenden, in der Nessalion zusammen mit dem Feuerherold verschwunden war.
»Irgendwie kann man schon verstehen, dass diesen Xelosanbetern dieser Ort heilig ist«, sagte Kawrin, der unmittelbar neben seinem Tileter Freund stand und ebenfalls fasziniert in die Tiefe blickte.
»Trotzdem«, meldete sich Arton zu Wort, »sollten wir die Zeit nutzen, in der die Xeliten um ihren Anführer trauern, und uns auf den Weg zur Oberfläche machen.« Auch den jungen Erenor hatte der Anblick des wallenden Feuersees kurzzeitig gefesselt, allerdings gestattete er sich nicht, allzu lange in staunender Untätigkeit zu verharren. Während Arton gleichzeitig die betenden Xelosjünger im Auge zu behalten versuchte, unterzog er Rais Kopfverletzung einer flüchtigen Inspektion. »Kannst du alleine laufen, Rai? Diese Wunde an deiner Stirn sieht übel aus.«
»Das stimmt«, bestätigte Kawrin. »Wer hat dir denn eine solche Platzwunde verpasst? Und überhaupt, du siehst aus, als wärst du durch ein Feld mit Dornbüschen gejagt worden. Haben sie dich verprügelt?«
Rai schien gar nicht zuzuhören. »Er ist einfach gesprungen«, murmelte er, ohne sich zu seinen Freunden umzudrehen. »Einfach so. Das war doch überhaupt nicht notwendig.«
»Sprichst du von diesem Nessalion?«, erkundigte sich Kawrin ein wenig verwirrt. »Wieso bist du denn über seinen Tod so betrübt? Immerhin hat er dich doch gegen deinen Willen hierhergebracht.«
Rai rieb sich die brennenden Augen und stand auf. »Das stimmt schon, aber er war kein böser Mensch. Der Verlust seines Sohnes hat ihn nicht mehr klar denken lassen, das war alles.« Er blickte Kawrin eindringlich an. »Einen solchen Tod hat er jedenfalls nicht verdient.«
»Na ja«, erwiderte Kawrin mit einem Achselzucken, »immerhin hat er uns von diesem verrückten Xelosfanatiker befreit. Ihn mit sich in die Tiefe zu reißen, war wohl die beste Möglichkeit, sicherzustellen, dass der Xelit auch wirklich den Tod findet. Natürlich ist das eine recht – hm, wie soll ich sagen –›rustikale‹ Methode.«
Rai seufzte und ließ den Kopf sinken. »Ich hatte einfach gehofft, dass wir Nessalion wieder zurück an die Oberfläche bringen können, damit er dort neuen Lebensmut schöpfen kann und … und …«
»… du hattest dir Vergebung von ihm erhofft«, vollendete Arton den Satz.
Überrascht blickte der kleine Tileter den Krieger an. Manche Empfindungen schien Arton besser zu verstehen, als seine kühle Unnahbarkeit vermuten ließ. Nach kurzem Zögern nickte Rai betrübt. »Ich fühle mich immer noch schuldig an dem Tod seines Sohnes Warson. Vielleicht hätte Nessalion mir ja irgendwann verziehen, aber so …«
»Du solltest einmal darüber nachdenken, warum er den Xelitenführer und nicht dich mit in den Tod nahm«, bemerkte Arton auf seine gewohnt nüchterne Art.
Rai musterte ihn wortlos aus seinen runden und von der trockenen Hitze geröteten Augen. Er verstand, worauf Arton hinauswollte, denn offenbar hatte Nessalion den Feuerherold als größeres Übel betrachtet und Rai daher verschont.
»Ich glaube, er wollte die Xelitin beschützen, die der Anführer geschlagen hat«, erwiderte Rai zögernd. »Irgendwie hat sie ihn wohl an Warson erinnert. Wahrscheinlich wollte er wenigstens ihr beistehen, wenn er schon seinem Sohn nicht helfen konnte.«
»Wer ist sie eigentlich?«, fragte Kawrin interessiert. »Sie hat ziemlich viel Mut bewiesen, wie sie sich da vor ihren zornigen Anführer gestellt und versucht hat, seinem Irrsinn Einhalt zu gebieten.«
»Ich weiß gar nicht, wie sie heißt«, antwortete Rai. »Sie ist ein ziemlich störrisches Ding, aber sie hat mir
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