Das Vermächtnis der Schwerter
zumindest Essen und Trinken zu der Höhle gebracht, in der ich gefangen saß. Dafür wollte sie ein paar Dinge über die Oberfläche wissen, denn sie war schon seit sechs Jahren nicht mehr dort. Ich glaube, dass sie gerne wieder zurück nach oben will, sich aber wegen ihres Anführers nicht getraut hat, zu gehen.«
Kawrin zog erstaunt die Augenbrauen in die Höhe. »Seit sechs Jahren ist sie schon hier? Dann wird sie jetzt wohl so schnell wie möglich wieder frische Luft schnuppern wollen.«
»Wie auch immer«, warf Arton ungeduldig ein, »wir sollten nicht abwarten, was geschieht. Immerhin ist es gut möglich, dass die Xeliten letztlich uns für den Tod ihres Anführers verantwortlich machen und daher nach Abschluss ihres Gebets Vergeltung üben wollen. Da es Rai so weit gut zu gehen scheint, sollten wir jetzt aufbrechen.«
Unschlüssig warf Rai einen Blick auf die immer noch einträchtig beisammenstehenden Xelosdiener. »Ich glaube nicht, dass sie uns etwas tun werden, Arton. Sie sind dem Willen ihres Anführers bedingungslos gefolgt, weil er sie zumeist noch als Kinder vor den zahlreichen Gefahren der Mine bewahrt hat. Aber ich denke, dass die meisten im Grunde hier wegwollen, so wie die Xelitin, die mir geholfen hat.«
»Willst du aufgrund dieser vagen Vermutung wirklich eine gewaltsame Auseinandersetzung riskieren?«, fragte Arton mit gerunzelter Stirn. »Es wird dabei auf jeden Fall Tote geben und ich kann bei dieser Überzahl an Gegnern nicht garantieren, dass dies nur Xeliten sein werden.«
»Schon gut«, lenkte der Tileter ein, »dann gehen wir eben. Mir ist heute wahrlich nicht nach noch mehr Aufregung zumute.«
Als die drei bereits kurz vor dem Ausgang der großen Höhle angekommen waren, blickte Rai noch einmal über die Schulter zurück auf die Gruppe der Xelosjünger. Alle hielten ihre Köpfe nach wie vor gesenkt, starrten hinab in die Feuerfluten und murmelten unverständliche Sätze vor sich hin. Nur ein einzelnes Gesicht war ihm zugewandt, es gehörte der jungen Xelitin. Als Rai sie anblickte, fiel ihm auf, wie klein und zierlich sie für ihr Alter war. Tränen glänzten trotz der Hitze in ihren Augen, sie sah verzagt und verletzlich aus. Rai blieb abrupt stehen, so als hätte ihn jemand an der Schulter gepackt. Er wusste nicht genau, was ihn in diesem Moment zurückhielt, ob er nur Mitleid empfand oder etwas anderes. Jedenfalls war er sich absolut sicher, dass er nicht einfach so verschwinden konnte.
»Was ist los, Rai?«, erkundigte sich Kawrin.
»Ich … ich muss wenigstens ihren Namen erfahren«, murmelte der Tileter abwesend und begann, zielstrebig auf die Xeliten zuzusteuern.
»Rai!«, rief ihm Arton hinterher, doch dieser reagierte nicht. »Verflucht«, zischte der Krieger ärgerlich, unternahm aber weiter nichts, um Rai aufzuhalten. Zusammen mit Kawrin blieb er am Höhlenausgang stehen und beobachtete angespannt, was nun geschehen würde.
Als Rai nur noch einige Schritte von der Xelitin entfernt war, wischte sich diese eilig über die Augen und kam ihm dann mit ernster Miene entgegen.
»Ich glaube, es wäre besser, wenn ihr jetzt geht«, sagte sie kühl. »Wir müssen uns von unserem Anführer verabschieden. Trotz allem war er ein großer Mann und wir wollen dafür Sorge tragen, dass unsere Gebete ihn rasch durch die läuternden Flammen in Xelos’ Hallen geleiten. Dabei stört ihr nur.«
Nach diesen unerwartet abweisenden Worten verfiel Rai zunächst in betroffenes Schweigen. »Eigentlich«, brachte er schließlich hervor, »wollte ich mich nur bedanken, dass du dich vorhin für uns eingesetzt hast. Und ich kenne deinen Namen gar nicht«, er räusperte sich verlegen. »Also, ich heiße Rai und bin aus Tilet.«
Die junge Xelitin schenkte ihm ein mildes Lächeln. »In unserem Orden werde ich nur ›Dritte Flammenschwester‹ genannt«, gab sie leise zur Antwort, »aber mein richtiger Name ist Selira. Ich komme aus einem kleinen Dorf an der Küste von Etecrar.« Damit erstarb jedoch ihr freundlicher Gesichtsausdruck. »Und es ist nicht notwendig, dass du dich bedankst, denn ich habe nur eingegriffen, weil ich verhindern wollte, dass meine Glaubensbrüder und -schwestern verletzt werden. Unglücklicherweise hat gerade das einem von euch die Möglichkeit gegeben, den Feuerherold anzugreifen.«
»Na, jetzt aber mal langsam«, entrüstete sich Rai, den dieser geradezu vorwurfsvolle Ton ziemlich unvorbereitet traf. »Euer Anführer wollte euch alle ohne Rücksicht auf Verluste in
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