Das Vermächtnis der Wanderhure
selbst, weil er nicht schon früher daran gedacht hatte. Fürst Dimitri hatte den Wechsel der Machtverhältnisse wohl nicht als wichtig erachtet oder war zu schnell betrunken gewesen, sonst hätte er sich nicht als erbitterter Feind Moskaus offenbart und seine Pläne preisgegeben.
Jetzt war Andrej froh, dass sein Fürst den Reisezug auf dem Rückweg beinahe unmenschlich hart angetrieben hatte, denn ihr schnelles Auftauchen musste Sachar überrascht haben. Andernfalls hätte Wassilis Vasall ihnen gewiss mit ausreichender Kriegermacht aufgelauert. Wahrscheinlich waren bereits die Scharen anderer moskautreuer Bojaren auf dem Weg hierher, um Sachar zu unterstützen. Dimitri und seine Leute würden Acht geben müssen, auf dem Rest des Weges nicht in einen weiteren Hinterhalt zu geraten.
Er schnaubte bei dem Gedanken und wandte sich wieder der Gegenwart zu. »Was ist jetzt, wo bleiben Salz und Brot?«
»Ich hole es schon!« Die Hausfrau drehte sich um und wollte die Halle verlassen.
Andrej rief sie zurück. »Du bleibst hier, Weib! Schick eine Magd.«
Sachar hob in hilfloser Wut die Fäuste. »Du bist schlimmer als ein Wolf, Andrej Grigorijewitsch!«
Andrej lachte auf. »Besser ein wachsamer Wolf als ein unachtsamer Bär!«
Dimitris Gesichtsausdruck ließ Andrej seine Bemerkung bedauern, denn der Fürst schien die Worte auf sich zu beziehen, und sein Blick versprach, dass er seinen Gefolgsmann für diesen Ausspruch noch zur Rechenschaft ziehen würde. Andrej seufzte; in dieser schwierigen Lage war es ihm nicht möglich, auch noch auf Dimitris Befindlichkeiten einzugehen. Zu seiner Erleichterung kehrte die Magd, die Sachars Weib ausgeschickt hatte, nach wenigen Augenblicken zurück und reichte der zitternden Hausfrau das Holzbrett, auf dem Brot und Salz lagen. Diese trat auf Fürst Dimitri zu und reichte ihm die Gabe, wollte Andrej jedoch ausweichen.
Als er sie mit der freien Hand aufhalten wollte, fuhr sie ihn an.
»Solange du meinem Männchen die Waffe an die Kehle hältst, bekommst du nichts!«
»Her mit dem Brot, sonst stoße ich zu!« Andrej war sich bewusst, dass er der einzige Mann aus Dimitris Gefolge war, der noch auf den Beinen stehen konnte, und wenn er den Bojaren umbrachte, würden dessen Leute ihn und seine Gefährten mühelos in Stücke hacken.
Das Weib aber sah nur die entschlossene Miene des Worosansker Recken und ließ sich einschüchtern. Mit bebenden Händen hielt sie ihm das Tablett hin. Andrej riss mit der Linken ein wenig Brot vom Laib, tunkte es in das Salz und aß es, ohne Sachar aus den Augen zu lassen. Dann befahl er ihr, auch den anderen in Salz getauchte Brotstücke zu reichen, wagte aber nicht, sich umzudrehen und ihr Tun zu kontrollieren.
Als sie wieder an die Seite ihres Mannes trat, blickte Andrej Sachar drohend an. »Du wirst deinem Weibchen nun befehlen, unverzüglich Fürstin Anastasia in ihrem Quartier aufzusuchen und über Nacht dort zu bleiben, und zwar mit zwei eurer jüngeren Kinder!«
Mit dem Mut des Bojaren stand es nicht besser als mit dem seiner Frau, und er befahl ihr, Andrejs Befehl zu gehorchen. Während das Weib der Magd, die das Brot gebracht hatte, Anweisungen gab, schwankte Sachars Miene zwischen Wut, Angst und Enttäuschung. Offensichtlich hatte er sich Hoffnungen gemacht, für Dimitris Gefangennahme von dem Moskauer Großfürsten mit der Herrschaft über Worosansk belohnt zu werden.
Da Andrej jemanden benötigte, der ihm das Eintreffen der Bojarenfrau bei Fürstin Anastasia bestätigen konnte, warf er nun doch einen kurzen Blick in die Runde. Der Anblick ließ ihn bitter auflachen. Trotz der bedrohlichen Situation waren die meisten Worosansker Edelleute von ihren Sitzen gerutscht und schnarchten betrunken vor sich hin. Bei einigen war sogar noch das Brotstück zu sehen, welches Sachars Weib ihnen zwischen die Lippen gesteckt hatte. Dimitri war zwar noch wach, sah aber so aus, als würde ihm der erste Atemzug an der frischen Luft den Rest geben. Daher wandte Andrej sich an Pantelej, der zwar nicht weniger getrunken hatte als die anderen, es anscheinend jedoch besser vertrug.
»Kannst du die Frau zur Fürstin begleiten und dafür sorgen, dass sie von unseren Wachen dort festgehalten wird, ehrwürdiger Vater?«
Der Priester kniff die Augen zusammen, als blende ihn das rote Licht der untergehenden Sonne, das durch ein offenes Fenster hereinfiel. Dann riss er sich sichtlich zusammen, blickte Sachar an und drohte ihm mit der Faust. »Dich sollte man erschlagen
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