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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Dimitri Michailowitsch keinen Dank. Ich fürchte, er wird dir diesen Abend noch lange nachtragen.«
    Andrej ging nicht auf seine Bemerkung ein. »Wir müssen heute Nacht Wachen aufstellen und das Dorf morgen bei Tagesanbruch verlassen. Ach ja, ich habe den guten Sachar Iwanowitsch eingeladen, ein Stück weit mit uns zu reiten. Vorher aber soll er noch kräftig auf unser aller Wohl trinken. Komm, mein Freund, lass dir den Becher füllen.«
    Der Bojar erstickte fast an seiner Wut, doch ihm blieb nichts anderes übrig, als den Becher entgegenzunehmen, den ein Worosansker Knecht ihm gefüllt hatte, und ihn bis zur Neige zu leeren. Es war der erste in einer langen Reihe, denn Andrej setzte seine Absicht in die Tat um, den Mann so betrunken zu machen, dass dieser nicht in der Lage war, vor Anbruch des Tages einen klaren Gedanken zu fassen.

V.
     
    M arie bemerkte die Schatten der drohenden Gefahr erst, als der Pope Sachars Weib Fürstin Anastasia vorstellte und Lawrenti kurz darauf an der Spitze etlicher Krieger die Herberge verließ. Wenig später wurde Dimitri ins Haus gebracht. Zunächst glaubte Marie, er sei verwundet, denn er wurde von zwei Knechten getragen. Dann aber nahm sie den Geruch nach Erbrochenemwahr und begriff, dass der Fürst sich bis zur Bewusstlosigkeit betrunken hatte. Als man ihn auf sein Bett legte, erbrach er sich erneut, und seine Helfer hatten Mühe, ihn vor dem Ersticken zu bewahren.
    Im Unterschied zu dem Herrn von Worosansk wirkten Lawrenti und Andrej, die kurz nach ihm eintrafen, erstaunlich nüchtern. Lawrenti redete auf einige Krieger ein, die ihn begleitet hatten und nun ihre Waffen fester fassten. Dann eilten vier von ihnen hinaus, als wären sie zur Wache eingeteilt. Marie fragte sich, was geschehen sein mochte, denn der beinahe herzliche Empfang in diesem Ort hatte sie annehmen lassen, die Worosansker befänden sich unter Freunden. Sie verstand jedoch viel zu wenig Russisch, um sich einen Reim auf die Vorgänge machen zu können. Als sie versuchte, Andrej auf die Situation anzusprechen, gab der junge Edelmann nur ein unwirsches Brummen von sich, und Marie stellte fest, dass sein Körper gespannt war wie eine Bogensehne.
    Enttäuscht wandte sie sich ab. In dem Augenblick zupfte jemand sie am Ärmel. Sie drehte sich um und sah Alika vor sich. »Was machen? Sollen weggehen?«
    Marie drehte die Handflächen nach oben und zog die Schultern hoch. »Nein! Dafür ist es viel zu früh. Wir wissen nicht einmal, in welchem Land wir uns befinden und welcher Weg nach Hause führt.«
    Alikas Lippen zuckten, als wolle sie in Tränen ausbrechen. Sie litt unter den verächtlichen Gesten und der Art, in der die Mägde in ihrer Gegenwart über sie sprachen, als wäre sie ein unverständiges Tier. Auch flößten ihr die sichtliche Abscheu des Popen und die Blicke der übrigen Männer Angst ein. Einige verzogen ihre Mienen, als bestünde sie aus Hundedreck, und die anderen schienen zu überlegen, wo sie sie ungesehen in eine dunkle Ecke zerren konnten. Doch sie vertraute Maries Urteil.
    Mit einem etwas ängstlichen Lächeln deutete sie in eine Ecke desRaumes, in der es noch einen freien Schlafplatz gab. »Gehen Bett wir beide. Besser.«
    Marie nickte ihr aufmunternd zu, sah sich aber noch einmal zu Andrej um. Der alte Lawrenti, der gerade zu ihm trat, machte eine so düstere Miene, als erwarte er jeden Augenblick den Angriff überlegener Feinde, während der junge Edelmann mit einem Mal entspannter und sogar ein wenig übermütig wirkte. Offensichtlich hatte er etwas gegen das drohende Unheil unternommen. Marie fühlte, dass auch ihre Beunruhigung wich, und atmete tief durch, um den Ring um ihre Brust zu sprengen. Dann nahm sie Alikas Hand und zog die Freundin schnell zu dem freien Strohsack, damit kein anderer das Lager in Beschlag nehmen konnte. Da noch genügend Fackeln brannten, konnte sie die beiden Adeligen beobachten, die sich mit nervösen Gesten unterhielten.
    Lawrenti sprach so leise, dass ihn weder die Knechte verstehen konnten, die die betrunkenen Edelleute in die Halle trugen, noch das Gesinde, das sich auf den Bänken niedergelegt hatte und ängstlich zu ihm und Andrej herüberstarrte. »Dimitri wird dein Eingreifen nicht belohnen, sondern es dir übel nehmen, weil du dich umsichtiger gezeigt hast als er.« Damit wiederholte er jene Bemerkung, die er in Sachar Iwanowitschs Halle gemacht hatte, noch einmal so eindringlich, als fürchte er um Andrejs Leben.
    »Du meinst, er wird mich dafür

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