Das Vermächtnis der Wanderhure
aber zu misstrauisch, um daraus zu trinken.
Sachar, der Herr des Dorfes, näherte sich ihm mit einem freundlichen Lächeln. »Sei mir willkommen, Fürst Dimitri Michailowitsch! Ich habe bereits Befehl gegeben, den Tisch zu decken, damit du speisen kannst, wie es einem hohen Herrn wie dir gebührt. Das hier ist guter Branntwein, wie ihn die Mönche aus dem Westen machen.«
»Ein Ketzergetränk?« Dimitri sah aus, als würde er die Flüssigkeit dem Bojaren am liebsten vor die Füße schütten.
Sein Gastgeber nahm ihm den Becher schnell aus der Hand und trank einen Schluck. »Das schmeckt herrlich, Dimitri Michailowitsch! Willst du nicht doch davon kosten?«
Dieser Aufforderung konnte der Fürst von Worosansk nicht widerstehen. Er setzte den Becher an die Lippen, nahm einen großen Schluck, wie er es gewohnt war, und begann heftig zu husten.
»Was für ein Teufelszeug! Das verbrennt einem die Kehle bis in den Magen.«
»Aber ja, Väterchen. Diesen feinen Tropfen musst du auf eine andere Weise trinken als Wein. Schau, wie ich es mache.« Sachar ließ sich einen Becher reichen und schüttete den Branntweinin einem Zug hinunter. Danach stieß er geräuschvoll auf und winkte einer Magd, die mit einem großen Krug hinter ihm wartete, nachzuschenken. Der Fürst versuchte, es ihm gleichzutun. Zwar hatte er auch diesmal das Gefühl, sich den Mund und die Kehle zu verbrennen, doch das warme Gefühl, das sich in seinem Bauch ausbreitete, entschädigte ihn reichlich. Er genehmigte sich einen weiteren Schluck und ließ sich von seinem Gastgeber in die Halle führen. Den Begleitern des Fürsten wurde nun ebenfalls Branntwein angeboten, und da keiner hinter Dimitri zurückstehen wollte, leerte sich der Krug, den die Magd zuerst mit beiden Händen hatte tragen müssen, in kürzester Zeit.
Auch Andrej trank einen Becher, da er aber seit dem frühen Morgen nichts mehr gegessen hatte, bemerkte er sofort, dass dieses Getränk ihm unangenehm zu Kopf stieg. Daher ließ er sich nichts mehr einschenken, sondern folgte seinem Herrn. Als er durch die Tür trat, saß Fürst Dimitri bereits auf dem Ehrenplatz am Kopfende einer großen, zweireihigen Tafel, die mindestens fünfzig Leuten Platz bot und beinahe die gesamte Länge der aus wuchtigen Holzstämmen errichteten Halle einnahm. Hölzerne Säulen stützten das Dach, und auf einem umlaufenden Podest an den Wänden lagen Säcke, die mit duftendem Heu gefüllt waren, und Decken aus warmen, mit Lederriemen aneinander gehefteten Schafsfellen, die dem Gefolge des Bojaren und seinen Gästen als Betten dienten.
Diese Einrichtung wirkte altmodisch und vertraut zugleich. Andrej konnte sich daran erinnern, dass der zentrale Saal im Kreml von Worosansk in seiner Kinderzeit ähnlich ausgesehen hatte. Fürst Dimitris Vater hatte jedoch Bilder von modernen Palästen gesehen und einen griechischen Baumeister beauftragt, ihm eine neue Residenz zu schaffen. In Worosansk gab es nun Kamine an den Wänden und mit Steinplatten bedeckte Fußböden. Hier bestand der Boden noch aus gestampftem Lehm, und zwischen denbeiden Tafelreihen befanden sich drei kreisrunde, offene Feuerstellen, die jetzt im Sommer wie schwarze Löcher wirkten. An der hinteren Stirnwand war Scheitholz bis fast zur Manneshöhe aufgeschichtet, so dass die Feuer jederzeit entfacht werden konnten, aber derzeit zogen der Hausherr und seine Gäste es vor, sich mit starken Getränken zu wärmen.
Andrej fiel auf, dass keine einzige Frau zu sehen war. Natürlich hielten diese sich normalerweise im Terem auf, einem abgeschlossenen Teil des Anwesens, das Gäste nicht ohne die Erlaubnis des Hausherrn betreten durften. Dennoch hätte die Sitte es dem Bojaren geboten, Fürst Dimitri seine Ehefrau vorzustellen, die dem hochgestellten Gast und seinen engsten Gefolgsleuten einen Willkommenskuss geben musste, um die Friedfertigkeit des Gastgebers zu demonstrieren. Auch reichte man ihnen kein Brot und kein Salz, wie ehrliche Gastfreundschaft es erforderte. Dafür eilten hier Knechte mit großen Krügen herum, die den Besuchern pausenlos Kwass, Bier und vor allem Branntwein anboten. Fürst Dimitri und seine Begleiter konnten kaum so rasch trinken, wie ihnen nachgeschenkt wurde.
Andrej versuchte, es den anderen gleichzutun, spürte aber schnell, dass sein Kopf sich anfühlte, als würde er in wirbelnde Wolken gebettet. Um seinen restlichen Verstand nicht auch noch zu betäuben, stellte er sich betrunkener, als er war, und verschüttete fast die Hälfte
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