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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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ist sie eigentlich? Warum kommt sie nicht, um uns willkommen zu heißen? Oder ist das Schwesterchen bereits zu Mütterchen Anastasia geeilt, um ihr, wie es sich gehört, ihre Ehrerbietung zu übermitteln? Immerhin ist Fürstin Anastasia nicht nur Väterchen Dimitris Weib, sondern auch eine Tochter des allererhabendsten Zaren von Konstantinopel.«
    Ganz so nahe, wie Andrej vorgab, war Anastasia nicht mit dem oströmischen Kaiser verwandt, doch der gastgebende Bojar krümmte sich mit einem Mal, als habe er Leibgrimmen. »Leider geht es meiner Alten heute gar nicht gut. Sie konnte bereits am Morgen nicht aufstehen, denn sie hat ganz geschwollene Beine, und die wollen sie nicht tragen. Verzeih daher, dass sie weder dich noch deine Gemahlin begrüßen kann, Väterchen Dimitri Michailowitsch.«
    Dimitri kniff die Augen zusammen und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Langsam begriff er, dass das Weib des Bojaren ihm und seiner Ehefrau nicht die Achtung entgegengebracht hatte, die ihnen zustand. »Wenn dein Weib nicht kommen konnte, so hätte deine Tochter uns Brot und Salz reichen müssen.«
    Sein Gastgeber schluckte mehrfach, um Zeit für Überlegungen zu erhalten, hob dann die Hände und sah Dimitri flehentlich an. »Verzeiht, aber meine älteste Tochter ist bereits verheiratet und lebt bei ihrem Mann in Serpuchow, und meine Jüngste ist noch zu klein.«
    Da Dimitri zu lange brauchte, um einen Gedanken zu fassen, fuhr Andrej scheinbar empört auf. »Ich muss sagen, du bist ein unhöflicher Patron, mein Freund! Ein Weib aus deiner Verwandtschaft wäre gewiss in der Lage gewesen, Sitte und Gebrauch zu erfüllen. Doch du hast uns empfangen wie Leute, die man lieber wieder gehen sieht, und nicht wie geehrte Gäste. Schäme dich!«
    Er wusste, dass er ein gefährliches Spiel spielte. Wenn Sachar es auf einen Kampf anlegte, waren sie in einer beinahe ausweglosenSituation. Bis Dimitris Tataren eingreifen konnten, die in ihre Quartiere zurückgekehrt waren, um den Gastgeber nicht durch ihre Anwesenheit zu beleidigen, würden die Männer des Bojaren sie bereits überwältigt haben. Ein Aufblitzen in Sachars Augen verriet Andrej, dass er mit seiner Befürchtung nicht falsch lag, und er begriff, dass er rasch handeln musste. Der Bojar stand auf, wohl um seinen Leuten den Befehl zu erteilen, die Worosansker niederzumachen, doch ehe er ein Wort über die Lippen brachte, fuhr Andrejs Klinge mit einem hässlichen Schaben aus der Scheide und zielte auf Sachars Hals.
    »Du wirst uns jetzt Brot und Salz bringen lassen, mein Freund, und dann auf gute russische Art mit uns Brüderschaft trinken!«
    Sachar Iwanowitsch erblasste. Selbst wenn die Gastfreundschaft erzwungen wurde, war ihr Gesetz heilig, und ein Bruderschwur würde ihn auf Gedeih und Verderb mit dem Fürsten von Worosansk verbinden. »Salz und Brot lasse ich euch bringen, doch schwören werde ich nichts!« Seine Miene zeigte, dass er eher bereit war, sich die Kehle durchstoßen zu lassen, als nachzugeben.
    Andrej war froh, dass sich ihm wenigstens die Gelegenheit bot, das Gastrecht für seinen Herrn und den ganzen Reisezug einzufordern. Wohl konnte ihr Gastgeber sie auch dann noch überfallen und ermorden lassen, doch damit würde er das Gesicht vor seinen Gefolgsleuten verlieren, und im fernen Moskau würden der junge Wassili und seine Berater sich fragen, was der Treueschwur eines Vasallen wert war, der das heilige Gastrecht gebrochen hatte.
    Sachar war sich der verzwickten Situation durchaus bewusst. Doch da ihm nichts anderes übrig blieb, befahl er einem seiner Männer mit sichtlichem Widerwillen, seine Frau zu holen, damit diese Brot und Salz überbringen konnte.
    Der Knecht kehrte bald mit einer kleinen, molligen Frau zurück, die über mehreren Unterkleidern einen bodenlangen Sarafan trug. Sie trat vor ihren Ehemann und stemmte die Fäuste in dieHüften. »Wieso soll ich diesen Worosansker Lümmeln jetzt doch Brot und Salz reichen? Vorhin hast du es mir noch ausdrücklich verboten.«
    Andrej hätte die Frau umarmen können, denn mit ihrem unbeabsichtigten Geständnis hatte sie das Doppelspiel ihres Ehemanns aufgedeckt. Innerlich schlug er sich selbst auf die Schulter, ohne sein Eingreifen wären er, Dimitri und die anderen wahrscheinlich schon tot oder im besten Fall Sachars Gefangene. Verschwommen erinnerte er sich nun, dass der frühere Bojar dieses Dorfes vor zwei Jahren abgesetzt und durch einen moskautreuen Mann ersetzt worden war, und fluchte über sich

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