Das Vermächtnis der Wanderhure
ihr eigenes Kind und damit als Erben Falko von Hettenheims aufziehen wollte. Es widerstrebte seinem Stolz, den Sprössling eines Schankwirtssohnes und einer Hure vor aller Welt Enkel nennen zu müssen, und anders als Hulda sah er auch in Zukunft keine Möglichkeit für eine zu vollziehende Rache. Kibitzstein lag am Main und dieHettenheimer Besitzungen in der Pfalz. Über diese Entfernung war eine Fehde nur mit der ausdrücklichen Billigung der Fürsten oder des Kaisers möglich. Der Bengel, den seine Tochter säugte, würde kaum in die Lage kommen, seinen leiblichen Vater zu bekriegen oder gar zu töten. Also würde dieses Bürschchen in spätestens sechzehn Jahren der unangefochtene Herr der großen Hettenheimer Besitzungen werden.
Die Absicht Huldas, ihren Töchtern große Teile des Erbes als Mitgift abzuzweigen, würde sich ebenfalls nicht verwirklichen lassen, denn der Pfalzgraf ließ gewiss nicht zu, dass der Besitz des angeblichen Sohnes beschnitten wurde. Wäre es Herrn Rumold möglich gewesen, die Hettenheimer Burgen und Dörfer an sich zu bringen, hätte er ohne Zögern zugegriffen. Doch nicht nur in dieser Beziehung waren ihm die Hände wie mit eisernen Ketten gebunden. Gab er die wahre Abkunft seines angeblichen Enkels preis, würde Heinrich von Hettenheim sein Recht einfordern und sowohl Hulda wie auch deren Töchter vertreiben. Dann hatte er die Weiberschar am Hals und würde sie versorgen müssen. Dazu war er nicht bereit.
Bei dem Gedanken an seine Enkelinnen zog ein bitterer Geschmack durch seinen Mund, denn er erinnerte sich nur allzu gut an die Jüngste, die durch Maries Balg ersetzt worden war. Lauenstein hoffte, dass sie den Weg in die Sklaverei nicht überlebt hatte. Allein der Gedanke, ein Mädchen aus seiner Sippe müsste als Magd oder gar als Hure jedem Tölpel zu Willen sein, erfüllte ihn mit Ekel.
»Ich hätte Hulda von dieser Tat abhalten müssen!« Der Klang seiner Stimme erschreckte ihn, und er blickte sich unwillkürlich um, ob ihn jemand gehört hatte. Dann erinnerte er sich, dass er seinen Leibdiener mit einem Auftrag weggeschickt hatte, und sonst befand sich niemand in dem Raum.
Lauensteins Blick heftete sich auf die beiden Truhen, die seine Gewänder und den restlichen Besitz bargen, den er auf die Reisemitgenommen hatte, glitt dann weiter zum Fenster mit seinen kleinen, sechseckigen Butzenscheiben aus gelblichem Glas, die meisterlich mit Blei eingefasst worden waren, und blieb auf dem Turm der Kirche von Sankt Lorenz hängen. Gerne hätte er all das, was sein Herz beschwerte, einem Priester gebeichtet, um Trost von ihm zu empfangen. Doch damit hätte er das Schicksal herausgefordert, denn die meisten Priester verschlossen Dinge von solcher Wichtigkeit nicht in ihrer Brust, sondern trugen sie dem Burggrafen von Nürnberg zu.
»Diese Sache wird mir etliche Jahrzehnte im Fegefeuer eintragen.« Wieder sprach er seinen Gedanken laut aus und kniff dann die Lippen zusammen. Die Angst, für die Tat, zu der Hulda ihn getrieben hatte, zur Hölle zu fahren und am Jüngsten Tag nicht der Erlösung für wert befunden zu werden, wollte er nicht einmal an seine eigenen Ohren dringen lassen. Mit müden Bewegungen griff er nach dem Silberbecher, der auf einer Anrichte für ihn bereitstand, und trank einen Schluck des süßen Ungarweins, der hier in Nürnberg reichlich vorhanden war. Er hätte genauso gut Wasser nehmen können, denn der Hexentanz in seinem Kopf brachte ihn um jegliches andere Empfinden.
Wieder bedauerte er, dass seine Tochter ihre Rache nicht mit einem schnellen Schwerthieb hatte vollziehen lassen. Dann hätten sie die Hure verscharren und die ganze Sache vergessen können. Doch jetzt blieb ihm genauso wie bei seiner jüngsten Enkelin nur die Hoffnung, dass die Frau den entbehrungsreichen Weg in die Sklaverei nicht überlebt hatte. Auch von Russland oder den Tataren, zu denen seine Tochter Marie hatte schicken lassen, führten Wege ins Reich, und Lauenstein, der die Zähigkeit der einstigen Hure bereits erlebt hatte, ahnte, dass er bis ans Ende seiner Tage mit der Angst leben musste, sie würde auch diesmal zurückkehren.
»Warum habe ich Hulda nicht zur Vernunft gebracht? Sie hätte dieser Hure ja eigenhändig die Kehle durchschneiden können!« Diesmal sprach er seine Selbstvorwürfe so laut aus, dass er sicherschrocken auf den Mund schlug. Wenn er so weitermachte, würde er noch verrückt werden, und dann bestand die Gefahr, dass er Huldas Verbrechen vor aller Welt
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