Das Vermächtnis der Wanderhure
winkte dem Prinzen mit einer energischen Handbewegung, ihm zu folgen, und kehrte in die Halle zurück.
Dimitri rupfte eben einem gebratenen Hähnchen einen Schenkel aus, als Jaroslaw zu ihm trat. Bei dessen Anblick legte er das Fleisch wieder auf den Teller zurück und funkelte ihn zornig an.
Bevor er jedoch etwas sagen konnte, verneigte sein Bruder sich vor ihm. »Willkommen zu Hause, Dimitri. Ich war ein paar Fische fangen, denn ich weiß ja, dass du sie gerne magst. Mit deiner Eile hast du mir die Überraschung verdorben.«
Obwohl Lawrenti spürte, dass der Junge die Wahrheit sagte, war er über dessen Schlagfertigkeit verblüfft. Wie es aussah, entwickelte Dimitris Bruder ungeahnte Talente.
Der Fürst fühlte sich durch die offenen Worte entwaffnet und bleckte die Zähne wie ein Hund, der nicht genau weiß, ob er zubeißen soll oder nicht. »Zeig deinen Fang, Bruder!«
Jaroslaw hielt ihm den Eimer unter die Nase. »Sind sie nicht herrlich, Dimitri? Die werden dir gewiss gut schmecken.«
»Uns beiden, meinst du.« Dimitri hatte nicht vor, eine Speise zu sich zu nehmen, die nur für ihn zubereitet wurde, dafür war seine Furcht vor einem Giftanschlag zu groß. Er klopfte seinem Bruder lachend auf die Schulter und befahl einem Diener, diesem einen Becher Wein zu reichen. Lawrenti erteilte er die Anweisung, die Fische in die Küche bringen und zubereiten zu lassen. Schließlich nickte er gnädig und ließ seinen Blick durch den Saal schweifen, in dem sich inzwischen der größte Teil seiner Gefolgsleute niedergelassen hatte.
»Wo ist Andrej? Er soll seine Gusla holen. Mir ist danach, ein fröhliches Lied zu hören!«
X.
W ährend es über Worosansk langsam Nacht wurde, kündigte sich etliche hundert Meilen weiter im Westen der Abend gerade erst an. Die fünf Männer, die zusammen auf einer Bank im Hofdes Anwesens der Kaufmannsfamilie Lechner in Nürnberg saßen, hatten jedoch keinen Blick für das Licht der tief stehenden Sonne, welches Pflastersteine und Hauswände mit blutroter Farbe überzog, und auch nicht für die Schwalben, die eifrig auf Jagd gingen, um ihre Brut vor der Nacht noch einmal zu füttern. Michel Adler auf Kibitzstein und seine beiden Freunde Heinrich von Hettenheim und Heribert von Seibelstorff starrten vor sich hin, als wäre ihnen ein Gespenst begegnet, das ihnen die Todesstunde verkündet hatte, und die beiden Knappen Anselm und Götz sahen einander ratlos an. Letzterer balancierte auf seinen Knien ein Brett mit Bratwürsten, die er sonst heiß und innig liebte. Gerade hier in Nürnberg wurde seine Leibspeise so gut zubereitet wie nirgendwo anders, und doch hatte er sie kalt werden lassen.
Gedankenverloren biss er in eine, kaute lustlos darauf herum und zog ein Gesicht, als hätte er Sägespäne im Mund. »Vor zwei Jahren sind wir mit Marie und Trudi am Lagerfeuer gesessen. Bei Gott, war das eine schöne Zeit!« Er seufzte und schluckte die Wurst hinunter.
Anselm nickte gedankenschwer. »Da hast du Recht, mein Guter. Es war eine schöne Zeit, auch wenn es in den Krieg ging und die Böhmen wenig Federlesens mit unsereinem machten. Marie wollte Herrn Michel unbedingt finden und sie hat es geschafft. Wie kann Gott nur so grausam sein, sie so früh von dieser Welt zu nehmen?
»Die Guten gehen immer zuerst«, warf Götz mit Grabesstimme ein. Dann bot er Anselm die Würste an. »Iss du sie. Mir schmecken sie heute nicht.«
»Dann müssen die Würste aber verteufelt schlecht sein.« Anselm übernahm das Brett, ließ die Würste jedoch unbeachtet und blickte Michel an wie ein bettelnder Hund.
»Glaubt Ihr tatsächlich, dass es Marie gewesen ist, die da bei Speyer aus dem Rhein gezogen wurde? Mir kommt es so unwahrscheinlichvor, dass sie auf diese Weise ums Leben gekommen sein soll. Sie hat ihren Kopf doch immer wieder aus der Schlinge gezogen.«
Michel sah nicht einmal auf, so tief hatte er sich in seine Trauer vergraben. »Es ist kein Zweifel möglich. Die Leiche, die man fand, trug das Gewand, welches Marie angehabt haben musste, als sie verschwand. Anni hat den Stofffetzen, der uns geschickt wurde, sofort erkannt.«
»Auch Anni kann sich irren.«
»Das wünscht sie sich selbst, aber wenn Marie noch leben würde, wäre sie gewiss schon nach Kibitzstein zurückgekehrt.«
Anselm klammerte sich an die Vorstellung, die von ihm verehrte Marie, die er als Marketenderin kennen gelernt hatte, müsse doch noch am Leben sein. »Vielleicht geht es ihr wie Euch damals, als Ihr Euer
Weitere Kostenlose Bücher