Das Vermächtnis der Wanderhure
Gedächtnis verloren hattet und auf Falkenhain lebtet. Könnte sie nicht durch das Land irren und verzweifelt einen Menschen suchen, der ihr sagen kann, wer sie ist?«
»Nachdem mich Ritter Heinrichs Vetter Falko in Böhmen verraten hatte und halb tot liegen ließ, habe ich irgendwie noch gewusst, dass es jemand gibt, der auf mich wartet. Auch Marie hat damals gespürt, dass ich noch am Leben bin. Aber wenn ich jetzt in mich hineinhorche, finde ich dort nur Leere.«
»Eine Leere, die der Kaiser bald füllen will.« Es waren die ersten Worte, die Ritter Heribert an diesem Abend von sich gab. Auf dem Feldzug nach Böhmen hatte er sich in Marie verliebt und schwer daran zu schlucken gehabt, dass diese verheiratet war und ihren Gatten wiedergefunden hatte. Nun war er seit etlichen Monaten mit der böhmischen Grafentochter Janka Sokolna verheiratet und durfte darauf hoffen, nach der endgültigen Niederschlagung des Hussitenaufstands in ihrer Heimat ein großer Herr zu werden. Doch all das – bis auf Janka natürlich – hätte er aufgegeben, wenn er Marie damit hätte zurückgewinnen können. Michel lächelte bitter. »Soviel ich gehört habe, tut der gute Sigismundsich nicht gerade leicht, eine passende Braut für mich zu finden. Die hohen Geschlechter des Reiches drängen sich nun einmal nicht danach, eine ihrer Töchter mit dem Sohn eines Schankwirts zu vermählen, mag der Kaiser ihm auch den Ritterschlag erteilt und ein stattliches Lehen übergeben haben.«
Obwohl Michel sich vehement gegen eine zweite Ehe sträubte, kränkte ihn die Missachtung, die ihm der Adel des Reiches entgegenbrachte. Er wusste allerdings auch, dass er diesen Kelch bis zur Neige würde leeren müssen. Kaiser Sigismund hatte seine Ehre darauf verpfändet, ihm eine passende Braut zu verschaffen, und er würde nicht eher aufgeben, bis er eine gefunden hatte, und mochte sie noch so alt und hässlich sein.
»Vielleicht ist eine unansehnliche Frau nicht einmal das Schlechteste«, sagte er zu niemand Besonderem.
»Wie wahr! Keine Frau, und sei sie die schönste im ganzen Reich, kann eine Marie ersetzen.« Der Seibelstorffer reagierte ein wenig gereizt, weil Michel eine zweite Heirat in Betracht zog. Für ihn war Marie so etwas wie eine Heilige gewesen, und eine andere Frau an ihrer Stelle zu sehen würde in seinen Augen ihr Andenken beschmutzen.
Heinrich von Hettenheim legte ihm mahnend den Arm auf die Schulter. »Jeder von uns weiß um Maries Wert, trotzdem solltest du Ritter Michel nicht schelten. Der Kaiser ist es, der auf eine rasche Heirat drängt.«
»Sigismund sollte lieber daran denken, wie er Böhmen befrieden kann«, fuhr der junge Ritter auf.
»Das tut er gewiss!«, antwortete Heinrich von Hettenheim mit einem bitteren Auflachen. »Doch es ist nun einmal leichter, eine Braut für einen Ritter zu finden, als etliche tausend bis an die Zähne bewaffnete Böhmen zur Räson zu bringen.«
»Ich glaube, das Zweite wird ihn bald leichter dünken«, warf Michel ein. »Beinahe jeder hohe Herr, der eine mannbare Tochter, Nichte oder Schwester zu Hause weiß, ist der Einladung des Kaisersnach Nürnberg ferngeblieben, aus Angst, dieser könnte ihn dazu zwingen, sie mir zu überlassen.«
»Du sagst das so, als würdest du es bedauern.« Heribert von Seibelstorff hatte sich in eine Stimmung hineingesteigert, in der er selbst dem Kaiser in die Parade gefahren wäre.
Michel zuckte mit den Schultern. »Keine Frau der Welt kann mir, wie du richtig gesagt hast, Marie ersetzen. Trotzdem wünsche ich mir, die Sache läge schon hinter mir. Trudi braucht tatsächlich eine Mutter, die sich um sie kümmert.«
Seine Freunde merkten, dass er im Grunde seines Herzens den Widerstand gegen den kaiserlichen Befehl aufgegeben hatte. Egal, welche Frau Sigismund ihm ins Brautbett legen mochte, es würde ihr schwer fallen, ihn aus seiner Melancholie herauszureißen. Während der Seibelstorffer immer noch mit dem Schicksal haderte, welches Marie aus diesem Leben gerissen hatte, hoffte der ältere und erfahrenere Heinrich, dass der Kaiser doch noch eine Frau finden würde, die Michel neuen Lebensmut schenken konnte.
XI.
N ur ein paar Steinwürfe vom Anwesen der Kaufherrenfamilie Lechner entfernt hockte Rumold von Lauenstein in einer Kammer auf der Nürnberger Feste, die ihm als Gesandten des Pfalzgrafen Ludwig zustand, und hing seinen Gedanken nach. Frau Huldas Vater war noch immer nicht darüber hinweggekommen, dass seine Tochter Maries und Michels Sohn als
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