Das Vermächtnis der Wanderhure
hineinwachsen.
Da seine Frau ihn trotzig ignorierte, änderte er seinen Plan. Eigentlich hatte er noch ein paar Tage in der Stadt bleiben wollen, damit Schwanhild Stoffe, Schmuck und all die anderen Dinge einkaufen konnte, die eine Frau glücklich machten. Doch jetzt würde sie erst einmal mit dem auskommen müssen, das sie selbst besaß oder was an Stoff und Bändern in den noch von Marie gefüllten Truhen auf Kibitzstein zu finden war. Bis auf deren liebste Schmuckstücke würde er ihr alles zur Verfügung stellen.
»Beeile dich mit dem Frühstück! Ich will heute noch die Heimreise antreten.« Seine Stimme klang so kühl, dass Schwanhild verletzt auffuhr.
»Heute schon?«, fragte sie empört.
»Aber doch nicht am Tag nach der Hochzeit!«, warf eine der Frauen ein.
»Es ist ein guter Tag zum Reisen. Die Sonne scheint, und für die nächste Zeit ist kein Regen zu erwarten. Da auch der Kaiser und Albrecht von Österreich bereits am frühen Morgen aufgebrochen sind, gibt es für mich keinen Grund, tatenlos hier herumzusitzen.«
Michels Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass alles so zu geschehen hatte, wie er es befahl. Er nickte Schwanhild noch einmal kurz zu, ermahnte sie, nicht zu lange zu säumen, und machte sich auf die Suche nach seinen Leuten. Während er in die Burg umquartiert worden war, hatten seine Knechte in dem Bürgerhaus bleiben müssen, in dem er und seine Leute Unterkunft gefunden hatten. Doch er brauchte nicht so weit zu gehen, denn Karel hatte sich auf die Suche nach ihm gemacht und kam ihm auf dem Burghof entgegen.
»Welches sind Eure Befehle, Herr?«, fragte er mit einer schwungvollen Verbeugung.
»Ruf unsere Leute zusammen! Sie sollen unsere Sachen packen und die Pferde satteln. Wir reiten nach Hause.«
»Heute noch?« Karel riss die Augen auf, hatte Michel ihm und den Waffenknechten doch am Vortag erklärt, er wolle noch eine Weile in Nürnberg bleiben.
»Ja, heute noch! Also beeil dich!« Michel wedelte ungeduldig mit der Hand, als wolle er den Jungen antreiben. Karel verschluckte einen Seufzer, denn er hatte sich darauf gefreut, noch ein wenig in der großen Stadt herumstromern zu können. Nun fragte er sich, was in seinen Herrn gefahren sein mochte, aber er wagte nicht, ihn darauf anzusprechen, sondern drehte sich um und rannte zum Tor hinaus.
Michel kehrte in den Palas der Burg zurück und wies ein paar Knechte an, ihm zu seiner Kammer zu folgen. Zum Glück gab es nicht viel einzupacken, denn seine eigenen Sachen waren zum größten Teil noch im alten Quartier, und Schwanhilds Truhe stand in dem Raum, der ihrem Vater und dessen ältestem Sohn anlässlich der bevorstehenden Hochzeit zugeteilt worden war. Daher schickte Michel die Knechte zu Ritter Kunner, um das Eigentum seiner Frau zu holen. Die Männer tauchten schnell wieder auf und brachten nicht nur die Truhe, sondern auch seinen Schwiegervater mit.
»Aber Eidam, was denkst du dir denn? Du kannst doch nicht schon heute aufbrechen wollen! Es gibt doch noch so viel zu besprechen. Schwanhilds Erbe …«
»Um das werde ich mich zu gegebener Zeit kümmern! Am besten bei einem Besuch auf deiner Burg. Ich denke, Schwanhild wird mich gerne dorthin begleiten. Erwarte uns im Herbst.« Michel wehrte jeden weiteren Widerspruch des Ritters ab und ließ die Truhe und sein Bündel in den Hof tragen.
Karel hatte unterdessen ein Ochsengespann mit einem Wagengemietet und den größten Teil des Gepäcks verladen lassen. Nun wurde noch der Rest verstaut und festgezurrt. Die Abreise verzögerte sich jedoch, denn Schwanhild ließ auf sich warten.
Da Ritter Kunner den Starrsinn seiner Tochter kannte, sagte er sich mit einer gewissen Schadenfreude, dass diese mit ihrem Mann wohl das gleiche Spiel zu treiben gedachte wie zuvor mit ihm. Nun wartete er gespannt darauf, wie sein Schwiegersohn reagieren würde.
Michel kam gar nicht auf den Gedanken, er müsse sich den Launen seiner frisch Angetrauten beugen, sondern machte sich auf die Suche nach ihr. Ein paar Münzen brachten zwei Knechte dazu, ihm den Weg zu jener Kammer zu weisen, in der Schwanhild es sich mit ein paar neu gefundenen Freundinnen bequem gemacht hatte. Dort riss er die Tür auf, stemmte die Arme in die Seiten und fixierte seine Gattin mit einem tadelnden Blick. »Ich habe dir gesagt, dass ich aufbrechen will!«
Ehe Schwanhild es sich versah, hatte er sie gepackt und auf die Füße gestellt.
»Aber Ritter Michel, behandelt die Ärmste doch nicht so grob!«, rief die Dame, die in
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