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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Krieg können wir in unserer Gegend wirklich nicht brauchen.«
    Die Stimme seines Kastellans klang so aufrichtig und erleichtert, dass Michel gar nicht der Gedanke kam, der Junker würde für seinen Vater Partei ergreifen wollen. Das mochte an Ingolds Streit mit seinem Bruder liegen. Offensichtlich war der junge Mann nicht gewillt, an dessen Seite zu kämpfen, und stand loyal zu seinem Herrn. Es war kein Fehler gewesen, ihn in seine Dienste zu nehmen.
    Er beugte sich aus dem Sattel und klopfte seinem Kastellan auf die Schulter. »Ihr habt richtig gehandelt, denn eine Fehde würde uns alle in Schwierigkeiten bringen. Ich will versuchen, mit Eurem Vater und seinem Widerpart zu sprechen, und wenn es notwendig sein sollte, werde ich sogar Seine Eminenz Johann von Brunn in Würzburg aufsuchen. Er dürfte wissen, dass ich hoch in der Gunst des Kaisers stehe, und das vermag meinem Wort das entscheidende Gewicht zu verleihen. Vorher werdet Ihr mir alles erzählen, was Ihr über diesen Streit wisst. Ich hoffe jedoch, die Angelegenheit hat Zeit, bis ich mich frisch gemacht habe, denn ich sehne mich nach einem heißen Bad und einem kräftigen Mahl. Meinen Begleitern dürfte es ebenso ergehen, besonders meiner Frau.«
    »Eurer Frau?« Junker Ingold starrte Michel verwirrt an, dann wanderte sein Blick zu der Sänfte hinüber, deren Tragpferde eben auf den Hof geführt wurden.
    »Es hat Seiner Majestät, dem Kaiser, gefallen, mich erneut zu vermählen, um mich über Maries Verlust hinwegzutrösten.« Michels Stimme verriet nicht, wie er zu dieser Tatsache stand. Wie ein verliebter Ehemann wirkte er in Ingolds Augen nicht. Da die meisten Paare von ihren Eltern oder dem Lehnsherrn verheiratet wurden und sich zusammenraufen mussten, nahm er die Neuigkeit ohne Verwunderung hin. Ehen wie diese entwickelten sichzumeist zu glücklicheren Verbindungen als jene, die aus heißer Liebe geschlossen wurden und in denen Mann und Frau bald merkten, dass ihre Sehnsucht einem Trugbild gegolten hatte.
    Der junge Kastellan trat nun auf die Sänfte zu und verbeugte sich. »Erlaubt mir, Euch als Erster in Eurer neuen Heimat willkommen zu heißen, Herrin.«
    Bis jetzt hatte Schwanhild weder der Burg noch dem Umland einen Blick gegönnt, geschweige denn den Menschen, die sich auf dem Hof versammelt hatten, um ihren Herrn willkommen zu heißen. Bei Ingolds höflichen Worten hob sie jedoch den Vorhang ihrer Sänfte und sah einen gut gewachsenen jungen Mann mit angenehmen Gesichtszügen, hellblauen Augen und blonden Haaren vor sich. Das bis zu den Knien reichende, malvenfarbene Wams, die eng anliegenden roten Strumpfhosen und der grüne, über die Schulter zurückgeschlagene Umhang verrieten seinen Stand ebenso wie der schmucklose Schwertgurt und die mehr für den Gebrauch als zur Zier bestimmte Waffe an seiner Seite. Schwanhild seufzte, denn der Gefolgsmann ihres Ehemanns gefiel ihr weitaus besser als dieser selbst. Die mürrische Miene, die sie während der Reise aufgesetzt hatte, machte einem freundlichen Lächeln Platz.
    »Ich danke Euch für den warmen Empfang, Herr Ritter. Wenn Ihr so freundlich sein würdet, mir aus der Sänfte zu helfen?«
    Ingold öffnete sofort den Verschlag und ergriff Schwanhilds Rechte. Als die Sonne ihr Gesicht beschien, blieb ihm für einen Augenblick der Atem weg. Michels neue Frau war so wunderschön wie ein Traum, und er fühlte ein Verlangen in sich wachsen, mehr als ihre Hand berühren zu dürfen. Schnell senkte er den Kopf und versuchte, diesen Gedanken weit von sich zu schieben, aber das wollte ihm nicht so recht gelingen. Für einen Augenblick hoffte er, Michel würde ihm die Aufgabe abnehmen, die Dame zum Palas zu führen, doch gleichzeitig sehnte er sich danach, es selbst tun zu dürfen.
    Mit sicherem Instinkt erkannte Schwanhild, welchen Eindruck sie auf den unerfahrenen jungen Mann machte, und lächelte. Mit ihm gab es hier zumindest einen Menschen, den sie zu ihrem Verbündeten machen konnte. Den benötigte sie dringend, das wurde ihr angesichts der finsteren Mienen klar, mit denen einige der Umstehenden sie musterten.
    Schwanhilds Blick blieb auf dem Kind haften, das die Tochter ihres Mannes sein musste. Es mochte drei oder vier Jahre zählen und hatte trotzig die Unterlippe vorgeschoben. Ihre Kindsmagd war ein etwa zwölfjähriges, eitel wirkendes Ding in einem viel zu guten Kleid und überdies viel zu hübsch für seinen Stand. Dieses Mädchen würde ihr gewiss noch Probleme bereiten, denn es starrte sie an,

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