Das Vermächtnis der Wanderhure
Hände nicht ertastenkonnten, verriet ihr die Nase, denn jedes Haus und jeder Trakt hatte seinen ganz eigenen Geruch. Aus der Küche quollen Essensdüfte, bei den Unterkünften der Männer roch es nach Leder und Schweiß, und der Schlafsaal der Mägde hatte wieder einen ganz eigenen Duft nach Seife und nach Frau. Früher hätte Marie nie gedacht, dass sogar die Orte, an denen sich nur Männer oder nur Frauen aufhielten, so unterschiedlich riechen könnten. Hier fiel es ihr zum ersten Mal auf. Männer rochen strenger, als wechselten sie ihre Lendentücher nicht oft genug. Die Frauen umgab ein süßlicher Duft, der den Geruch des Blutes, das sie einmal im Monat von sich gaben, nicht ganz überdecken konnte.
Marie wunderte sich, wohin ihre Gedanken sich verirrten, wenn sie sich nicht auf eine Arbeit oder ihre Pläne konzentrierte. Sie ging weiter, bis sie ein einzeln stehendes, ebenfalls aus Stein und wie der Palast im griechisch-russischen Mischstil erbautes Haus erreichte, aus dem ihr feuchtwarme Luft entgegenschlug. Das war das Badehaus, welches von den Edelleuten und dem Gesinde gemeinsam benutzt wurde. Auch wenn sie sich die Hände gründlich gewaschen hatte, glaubte sie immer noch die Ausdünstung von Anastasias Scheide an sich zu riechen und hoffte, mit dem Geruch der Fürstin gleichzeitig auch deren Kränkungen abwaschen zu können.
Im Allgemeinen badeten die Frauen und Männer im selben Raum, nur in getrennten Wannen. Aber für die Fürstin, die sich mit dieser Sitte nicht hatte abfinden können, war ein eigenes Zimmer eingerichtet worden, das auch Marie und Alika benutzen durften. Die Männer hätten nichts dagegen gehabt, wenn sie mit den anderen Frauen zusammen in die Wanne gestiegen wären, doch die Mägde duldeten die Mohrin, die als unreine Heidin galt, nicht unter sich, und Marie war ihnen als Ketzerin aus dem Westen unheimlich. Daher glaubten die Russinnen, sie würden sich beschmutzen, wenn sie ihr Badewasser mit Alika und der deutschen Amme teilten.
Die vier steinernen Wannen im großen Raum waren gut besucht, denn es stand der Festtag eines Heiligen bevor, und Pantelej drang darauf, dass seine Schäfchen sauber in die Kirche kamen. Die einfachen Knechte saßen dicht an dicht in dem kleineren, niedrigeren Bottich, dessen Wasser nicht so stark erhitzt wurde wie das der Gefolgsleute des Fürsten, unter denen sich zu dieser Stunde auch Jaroslaw, Lawrenti und Andrej befanden.
Als Marie eintrat, hatte Andrejs Freund Wasja sich gerade erhoben und präsentierte sich den Frauen in seiner ganzen Nacktheit. Dabei rieb er sein Glied so, dass es rasch wuchs. Ein paar junge Mädchen drehten schamhaft die Köpfe weg, um dann doch einen scheuen Blick zu wagen. Die älteren Frauen hingegen verfolgten das Tun des jungen Mannes mit spöttischen Blicken.
»Länger wird er nicht, auch wenn du noch so sehr daran ziehst!«, rief eine von ihnen lachend.
Wasja sah sie an und bewegte sein Becken anzüglich vor und zurück. »Für dich langt er allemal!«
»Angeber!«, antwortete die Frau mit einer verächtlichen Handbewegung. Das wollte der Mann nicht auf sich sitzen lassen und so entspann sich zwischen den beiden ein heftiges Wortgefecht.
Marie war froh, dass sich die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf dieses Paar konzentrierte, und schlich ungesehen in die Badekammer der Fürstin hinüber. Dort schloss sie aufatmend die Tür hinter sich. Die kupferne Wanne, die allein Anastasia zur Verfügung stand, war leer, doch über einem großen Holzbottich kräuselte sich Dampf. Ein dunkles Gesicht mit krausen Haaren schälte sich zwischen den Schwaden hervor, und große schwarze Augen blickten Marie erleichtert entgegen.
»Ich dachte schon, es wäre Anastasia oder die Haushofmeisterin. Von denen hätte ich mir gewiss Schläge eingefangen.« In den letzten Wochen hatte Alikas Kenntnis der deutschen Sprache große Fortschritte gemacht, während ihr Russisch grauenhaft klang und sich auf den notwendigsten Wortschatz beschränkte.Sie schien diese Sprache aus Trotz nicht richtig lernen zu wollen, wohl weil die anderen sie als halbes Tier ansahen. Dennoch verstand sie mehr von dem, was gesagt wurde, als die Leute annahmen.
»Anastasia ist eifersüchtig auf dich, weil der Fürst dich häufiger in sein Bett holt, als er zu ihr kommt. Deswegen sucht sie immer wieder nach Gründen, dich bestrafen zu können.«
Alika bleckte die Zähne. »Von mir aus kann sie ihn den ganzen Tag haben. Ich frage mich, was sie an diesem Kerl findet. Der
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