Das Vermächtnis der Wanderhure
gewiss ebenso ordinär, wie diese einst gewesen sein musste. Daher beachtete sie die wenig herzlich klingenden Willkommensgrüße der Marketenderinnen nicht, sondern kehrte ihnen brüsk den Rücken. Neben der Böhmin würden diese Weiber als Erste von hier weichen müssen.
Auf Burg Kibitzstein mussten schier unerträgliche Zustände eingerissen sein, wenn sich solch ein Abschaum hatte breit machen können, dachte sie und schämte sich, dass ausgerechnet sieden Herrn dieser Herrlichkeit hatte heiraten müssen. Während sie im Stillen Spott und Hohn über Michel ausgoss, erinnerte ein leichtes Kribbeln in ihrem Unterleib sie daran, dass es bald dunkel werden würde. Während der Reise hatte der Wirtsspross sie allein in ihrem kalten Bett schlafen lassen, weil er ihr nach dem ständigen Schaukeln und Rucken der Pferdesänfte angeblich Ruhe gönnen wollte. Hier aber würde er wohl kaum auf sein Recht als Ehemann verzichten. Beim ersten und bisher einzigen Mal war sie zu betrunken gewesen, um die Freuden der Ehe richtig genießen zu können, aber in ihrer Erinnerung hatte sie Wonnen erlebt, nach denen ihr Körper nun Nacht für Nacht verlangte.
IX.
M arie tastete noch einmal den Unterleib der Fürstin ab und schob dann zwei Finger in deren Scheide. Anastasia keuchte kurz, aber nicht vor Schmerz, sondern wegen der Gefühle, die dieses Eindringen in ihr auslösten. Da es jedoch sündhaft war, an Lust auch nur zu denken, wenn nicht ihr Gemahl sein Recht an ihr ausübte, murmelten ihre Lippen ein Gebet aus ihrer Heimat. Sie flehte die Heilige Jungfrau an, nicht ihre Beherrschung zu verlieren und ihre Kräuterfrau und Vertraute zu Dingen aufzufordern, die vor Gott keinen Gefallen fanden. Zu ihrer Erleichterung zog Marie die Hand schnell wieder zurück und wusch sie mit scharfer Seife in einer kupfernen Schale.
Dabei lächelte sie Anastasia aufmunternd zu. »Die Geschwulst ist nicht mehr zu ertasten, Herrin. Nun wirst du deinen Gemahl wieder mit der Freude in dich aufnehmen können, die du dir wünschst.«
»Gott im Himmel und der Heiligen Jungfrau sei Dank! Ichwerde also doch den erhofften Sohn empfangen können.« Anastasia faltete die Hände und sprach ein weiteres Gebet.
Über ihrem Dank an die himmlischen Kräfte vergaß sie ihre irdische Helferin jedoch nicht. »Ich bin so glücklich, dass unsere Wege sich gekreuzt haben, Marija. Du hast heilende Hände!«
Marie neigte scheinbar demütig ihren Kopf, um ihren Gesichtsausdruck zu verbergen, denn sie war alles andere als glücklich, in dieses Land verschleppt worden zu sein. Und doch musste sie froh sein, das Interesse und schließlich auch die Gunst der Fürstin errungen zu haben. Das Schicksal hätte sie auch in ein Hafenbordell verschlagen können.
Sie schlug das Kreuz auf die hier übliche Art, um sich keinen Tadel zuzuziehen, und dankte im Stillen der heiligen Maria Magdalena dafür, dass sie derzeit ein recht angenehmes Leben führen konnte. Gleichzeitig haderte sie mit sich selbst und verfluchte ihre Schwäche. Anastasias Wunsch nach einem weiteren Sohn erinnerte sie tagtäglich an ihren eigenen, der in den Händen Hulda von Hettenheims zurückgeblieben war, und sie hasste sich beinahe dafür, dass sie nicht den Mut aufbrachte, alles hinter sich zu lassen und sich auf den Weg in die Heimat zu machen, auch wenn mehr als die halbe Welt zwischen Worosansk und Kibitzstein lag.
»Das darf nicht sein!« Zum Glück stieß sie die Worte auf Deutsch hervor, so dass die Fürstin sie nicht verstand.
Anastasia schien sie für eine Dankesäußerung oder ein kurzes Gebet zu halten, denn sie nahm ihre Hand und streichelte sie dankbar. »Du bist so geschickt in allem, was uns Frauen und unseren Leib betrifft.«
Marie hob die Linke und schüttelte den Kopf. »Dankt Gott, dem Herrn, und der Heiligen Jungfrau von Wladimir, Herrin, aber nicht mir. Ich bin nur eine einfache Frau.«
Obwohl sie eben noch den Tränen nahe gewesen war, musste sie sich jetzt ein Lächeln verkneifen. Die Fürstin durfte niemals erfahren,woher sie ihre Kenntnisse besaß, nämlich von ihrer Freundin Hiltrud, die nicht nur als Bäuerin, sondern auch als Kräuterheilerin gefragt war. Deren Wissen stammte aus der Zeit, in der sie als wandernde Huren von Markt zu Markt gezogen waren, und von den weiblichen Tieren auf Hiltruds Hof. Marie hatte manchmal innerlich den Kopf geschüttelt, wenn ihre Freundin all die Probleme vor ihr ausgebreitet hatte, die ihre Ziegen und Kühe betrafen. Beinahe bei jedem
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