Das Vermächtnis der Wanderhure
einer gewissen Stelle dicke, ekelhafte Pusteln verschaffte. Alika würde es gewiss begrüßen, wenn Dimitri sich von ihr abwandte und wieder das Bett seiner Gemahlin aufsuchte.
»Es wäre besser für die Mohrin! Bastarde werde ich hier nicht dulden.« Anastasia schien vergessen zu haben, dass sie Marie gerade noch gelobt hatte, denn ihr Gesicht spiegelte nun Ärger und Wut.
»Außerdem gefällt mir nicht, dass mein Sohn von dir und der Schwarzen genauso behandelt wird wie deine Tochter. Sollen der Thronfolger und die Tochter einer Sklavin etwa wie Geschwister aufwachsen?« Diesen Stich hatte die Fürstin sich nicht verkneifenkönnen, und sie sah zufrieden, dass sie die Amme mit dieser Bemerkung verletzt hatte.
Maries Gesicht wurde weiß und sie öffnete bereits den Mund zu einer heftigen Antwort. Dann schluckte sie die Worte, die ihr über die Lippen kommen wollten, und beugte stattdessen den Nacken. »Wie du befiehlst, Herrin.«
Im Grunde ihres Herzens fand sie es lächerlich, wie kleinlich die Fürstin sich gab. Obwohl Anastasia ihren Gatten nicht liebte, bekämpfte sie jede Frau, der er sein Interesse zuwandte, mochte es die Tochter eines seiner Bojaren sein oder eine Sklavin wie Alika. Auch kehrte sie stets ihren Rang als Fürstin und Gemahlin des Herrn über Worosansk heraus und schien Freude zu empfinden, wenn sie ihre Untergebenen kränken konnte.
»Du kannst jetzt gehen! Ich lasse dich rufen, wenn ich dich brauche.«
Marie war froh, der launischen Frau zu entkommen. Sie packte die Salbentöpfe in ihre Schatulle, schulterte die Beutel mit den Tinkturen und getrockneten Kräutern und verließ mit einer Verbeugung den Raum. Draußen atmete sie erst einmal auf, so bedrückend wie heute war ihr die Nähe der Fürstin schon lange nicht mehr erschienen.
»Ich sollte mich mehr um meine Flucht kümmern, als mir Gedanken über dieses hochnäsige Weib zu machen!« Beim Klang ihrer eigenen Stimme drehte Marie sich erschrocken um und erinnerte sich dann erst daran, dass es in Worosansk niemanden gab, der ihre Muttersprache verstand. Ein Gutes konnte sie dem Benehmen der Fürstin jedoch abgewinnen: Sie fühlte ihr Blut schneller durch die Adern kreisen und wusste, dass sie mit den Vorbereitungen für ihre und Alikas Flucht beginnen musste. Mit diesem Gedanken stellte sie ihre Sachen in ihr Zimmer und verließ den Terem.
Draußen blieb sie stehen, sah sich bewusster um als sonst und zog enttäuscht die Mundwinkel herab. Der Sommer hatte inzwischendem Herbst Platz gemacht, und die Blätter der Birken färbten sich schon gelb. Also würde in diesem Jahr keine Flucht mehr möglich sein, selbst wenn die Erzählungen, die sie über die Winter in diesen Landen gehört hatte, weit übertrieben sein sollten. Doch wenn das Frühjahr ins Land zog, würde sie es wagen. Bis dorthin hatte sie genügend Zeit, all die Dinge zu sammeln, die für den weiten Weg notwendig waren. Sie besaß bereits ein wenig Geld, denn Andrej und einige seiner Freunde hatten ihr als Dank für einen Trank, der ihnen nach einer ausgiebigen Zecherei den Kopf nicht so schwer erscheinen ließ, kleine Münzen zugesteckt. Auch hatte sie ihren Dolch trotz des Zwischenfalls mit Darja behalten können.
Einen Augenblick erschauderte sie, als sie an das Schicksal der einstigen Kindsmagd denken musste. Darjas Tod lag erst wenige Wochen zurück, doch selbst diejenigen, welche die Frau einst Freundin genannt hatten, taten so, als hätte es sie nie gegeben. Die Mägde lachten über die Witze der tatarischen Söldner und mehr als eine schlüpfte mit ihnen ins Heu der Scheuern, die bei den Ställen standen.
Diese Russen sind ein seltsames Volk, dachte Marie und musste über sich selbst lachen, denn hier sagte man das Gleiche über sie und die Deutschen. Sie durfte die Mägde nicht verurteilen. In ihrer Heimat gab es ebenfalls genügend Frauen, die sich zu gewalttätigen Männern hingezogen fühlten, und Männer, die auf Befehl ihrer Herren schreckliche Taten begingen. Daher wollte sie weder über die Russen noch über die Tataren schlechter denken, als diese es verdienten. Mit diesem Vorsatz setzte sie ihren Weg fort.
Der Kreml war ein Konglomerat aus unterschiedlichen Bauwerken. Um den eigentlichen Palast und den Terem, die beide aus Stein errichtet worden waren, hatte man scheinbar wahllos Ställe, Scheunen und verschiedene andere Bauten gruppiert, die ihr inzwischen so vertraut waren, dass sie mit geschlossenen Augen sagen konnte, wo sie sich befand. Was ihre
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