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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Gelja schien ihre Ablehnung zu bemerken, denn sie lächelte verschwörerisch und hob beruhigend die Hand. Dann schloss sie die Tür, trat an die Wand dahinter und nahm den kleinen Löffel von dem Balken herab, den Marie dort zu verstecken pflegte. Es handelte sich eher um ein Spielzeug, mit dem derjenige, der es aus einem Horn geschnitzt hatte, wohl seine Fingerfertigkeit hatte beweisen wollen. Aber für den Zweck, für den Marie ihn benutzte, war er besser geeignet als die Löffel, die hier sonst verwendet wurden.
    »Hier, damit du die Kleine füttern kannst!« Gelja reichte Alika den Löffel.
    Marie hatte sich bemüht, alles sehr heimlich zu tun, aber die Magd hatte unerwartet scharfe Augen und einen wachen Sinn. Nun konnte sie nur hoffen, dass Gelja keine falschen Schlüsse zog und sie verriet. Mit dem unangenehmen Gefühl, der Russin ausgeliefert zu sein, setzte sie sich auf den Schemel und ließ es zu, dass Gelja ihr die Zöpfe flocht, während Wladimir ärgerlichschnaubte, weil ihre Brüste ihm nun, da Lisa bereits daran getrunken hatte, nicht mehr genug Milch spendeten.
    »Gib ihm etwas von dem Brei!«, sagte Gelja zu Alika, als der Thronfolger zu greinen begann.
    Die Mohrin blickte Marie fragend an, legte auf deren Nicken hin Lisa auf das Bett und übernahm Wladimir, der wie gewöhnlich abwehrend die Nase krauste, als sie ihm etwas Brei ins Mündchen schob. Dann aber begann er eifrig zu schlucken und vertilgte so viel, dass Alika es mit der Angst zu tun bekam. »Kann er wirklich so viel Hunger haben?«
    »Was sagt sie?«, fragte Gelja.
    »Alika wundert sich über den Appetit des Prinzen.«
    »Dimitris Sohn ist beinahe ein Jahr alt und muss kräftig essen, damit er groß und stark wird. Milch allein reicht da nicht aus. Leider will unsere Fürstin das nicht einsehen, und die anderen plappern natürlich nach, was sie sagt. Zum Glück bist du eine kluge Frau, allerdings nicht klug genug, zumindest, was dich selbst betrifft.«
    »Wie meinst du das?« Marie erschrak, denn sie fürchtete, gegen eine der ihr unverständlichen Sitten oder gar gegen ein Gesetz dieses Landes verstoßen zu haben.
    Gelja nahm eine Strähne ihres Haars und hielt sie ihr vor die Augen. »Als die Fürstin dich gekauft hat, war dein Haar spröde und wirkte wie angegraut. Alle hier haben dich für eine alte Frau gehalten, und manch einer dürfte sich gewundert haben, dass du noch ein Kind geboren hast. Nun aber glänzen deine Locken wie Gold, deine Haut ist glatt und weich und dein Busen trotz der zwei Kinder, die du nährst, immer noch recht ansehnlich. Du musst früher einmal eine wunderschöne Frau gewesen sein und siehst heute noch viel zu gut aus für eine Sklavin. Das ist gefährlich für dich.«
    Marie schüttelte irritiert den Kopf. »Das verstehe ich nicht.« »Die Männer reden schon über dich, und es kann nicht mehrlange dauern, dann stichst du unserem Herrn ins Auge und er holt dich in sein Bett. Das aber dürfte der Fürstin nicht gefallen. Anastasia ist keine Russin, die zu gehorchen weiß, sondern stammt aus dem Kaiserlichen Haus von Konstantinopel. Daher ist sie es nicht gewohnt, im Schatten einer anderen Frau zu stehen. Außerdem fühlt sie sich in unserem Land unglücklich und ist deswegen so reizbar. Wenn du deinen Rücken vor Schlägen bewahren willst, solltest du dieser Tatsache Rechnung tragen.« Bisher hatte Marie sich nicht vorstellen können, dass Fürst Dimitri in ihr etwas anderes sehen könnte als die Amme, die seine Gemahlin auf dem Sklavenmarkt gekauft hatte. Jetzt führte sie sich Alikas Schicksal vor Augen und begriff, dass auch sie nicht vor den Nachstellungen des großen Bullen sicher war, wie seine Gefolgsleute Dimitri halb spöttisch und halb ehrfurchtsvoll nannten.
    »Danke für die Warnung, Gelja. Du bist ein Schatz.« Marie blickte nach oben und zog sich eine Rüge der Russin zu, die gerade Maries Zöpfe aufstecken wollte.
    »Ich weiß nicht, warum ich mich überhaupt für dich interessiere. Eine Sklavin besitzt kein Geld, um mir auch nur einen halben Denga zu schenken!«, setzte die Magd achselzuckend hinzu.
    Marie musste an sich halten, um nicht erschrocken zusammenzuzucken. Hatte Gelja etwa auch das Versteck mit den Münzen entdeckt, die sie bis jetzt in ihren Besitz gebracht hatte? Doch als sie nervös aufblickte, malte sich auf dem Gesicht der Magd nicht der geringste Verdacht ab.

XI.
     
    I n der Badekammer unterhielten sich die Männer derweil immer noch über die körperlichen Vorzüge und

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