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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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trabte weiter, und da es keinen anderen Weg so gut kannte wie den zu seinem ehemaligen Stall, trug es seinen Herrn jenem Ort entgegen, den er nie wieder hatte betreten wollen, nämlich zur Stammburg seiner Familie. Als Ingold begriff, in welche Richtung das Pferd lief, erblickte er darin ein Zeichen. Doch als er Stunden später Dieboldsheim vor sich aufragen sah, kamen ihm Zweifel, und er wollte das Tier schon wenden. Der Türmer hatte ihn jedoch bereits erkannt.
    Ein Wächter beeilte sich, den schweren Türflügel aufzureißen.
    »Einen schönen guten Tag, Junker! Es freut mich, dass Ihr uns doch einmal besucht.«
    Ingold beachtete den Willkommensgruß nicht und lenkte sein Ross auch nicht zu den Ställen, sondern ritt um den Palas herum zur Burgkapelle, die im Schatten des großen Bergfrieds stand. Auf Dieboldsheim gab es keinen eigenen Kaplan, hier wachte der Bruder seiner Mutter, der mehrere Pfarrstellen in der Umgebung innehatte und sich dort von Hilfspriestern vertreten ließ, über die Seelen der Menschen. Er galt als strenger Pfarrherr, aber er war der einzige Mensch auf der Welt, dem Ingold sich anvertrauen mochte. Nur wusste er noch nicht, wie viel er ihm erzählen sollte. Kaum hatte sein Onkel ihn entdeckt, kam er auch schon mit einem fröhlichen Lachen auf ihn zu. »Ganz so ernst scheint es dirmit deinem Schwur, keinen Fuß mehr auf deines Vaters Burg zu setzen, doch nicht zu sein, mein Junge.«
    Ingold verzog das Gesicht, denn die Worte des Priesters erinnerten ihn an den Schwur, den er am Vortag geleistet hatte, und nun brach seine Verzweiflung sich Bahn. Mit Tränen in den Augen stieg er vom Pferd und verbeugte sich stumm.
    Sein Onkel kniff verwundert die Augenbrauen zusammen. »Was ist denn Schlimmes vorgefallen?«
    Er senkte den Kopf. »Ich … Ich habe schrecklich gefehlt!«
    Der Pfarrherr packte ihn am Ärmel, zog ihn in die schattige Kapelle und schloss die Tür hinter ihnen. Dann wies er Ingold an, in der vordersten Bankreihe direkt vor dem Altar Platz zu nehmen. »So, jetzt erzählst du mir, was los ist. Ich kenne dich doch und ich habe dich nie so gedrückt erlebt wie jetzt.« Um den zunächst noch stockenden Redefluss seines Neffen zu beschleunigen, schenkte der Priester ihm einen großen Becher Messwein ein, den er in einer kühlen Nische aufbewahrte. Da der junge Mann an diesem Tag noch nichts gegessen hatte, entfaltete der Wein die gewünschte Wirkung, und er erzählte weitschweifig und ohne sich zu schonen, was sich auf Kibitzstein zugetragen hatte.
    Zunächst hörte der Priester wie erstarrt zu, dann schüttelte er den Kopf und blickte Ingold durchdringend an. »Haben dein Vater und ich dich gelehrt, den Weibern anderer Männer nachzustellen und falsche Eide zu schwören?«
    »Ich liebe Frau Schwanhild, Oheim, und musste sie vor Verleumdern beschützen!« Mit diesem Versuch, sich zu verteidigen, beschwor der Junker erst recht den Zorn des Priesters auf sich herab.
    »Indem du jene, die die Wahrheit sagten, durch einen Meineid der Lüge bezichtigt hast? Bei Gott dem Herrn, es wäre besser gewesen, dein Vater hätte dich nach deiner Geburt ersäuft! Wenn er erfährt, welche Schande du auf unsere Sippe geladen hast, wird er dich nicht mehr seinen Sohn nennen!«
    »Es ist doch nur ein Bauernmädchen. Das dumme Ding wird die Schläge bald vergessen haben.« Ganz wohl war Ingold nicht bei diesen Worten, denn in seinen Gedanken hallten immer noch Marieles Schreie.
    Sein Onkel sah so aus, als würde er ihn am liebsten in den Erdboden schlagen. »Bauernmädchen hin oder her! Die Ehre eines Ritters ist unteilbar, Neffe. Außerdem hast du Herrn Michel mit deinem Eid schwer beleidigt und vielleicht sogar den Anlass zu einer Fehde zwischen dem Herrn auf Kibitzstein und deiner Sippe gegeben. Es war dein Vater, der dich undankbaren Burschen Ritter Michel aufgeschwatzt hat, ohne zu ahnen, welche Schlange er damit an dessen Busen legt.«
    Ingolfs letzter Rest von Stolz zerstob unter den harten Worten. Er krümmte sich und weinte zuletzt hemmungslos. »Ich konnte doch nicht tatenlos zusehen, dass man Frau Schwanhild bezichtigt, Dinge getan zu haben, die wirklich nicht geschehen sind.«
    Der Pfarrherr schluckte eine weitere böse Bemerkung hinunter und schien zu überlegen. »Wenn die Wahrheit ans Tageslicht dringt, wird Blut fließen. Dies ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Es gilt also zu schweigen und deine Schande tief in unseren Herzen zu bewahren. Doch bevor ich weiterspreche, wirst du mir eine

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