Das Vermächtnis der Wanderhure
Kleine selbst säugte oder einer Amme übergab. Seine Liebe galt einzig und allein Trudi. Sie würde er mitnehmen, nicht aber die Frau, die der Kaiser ihm aufgezwungen hatte.
»Dieter wird die sechs Bewaffneten anführen, die mich begleiten!«, setzte Michel hinzu. Er ließ Gereon zurück, um einen Mann seines Vertrauens in der Burg zu haben, der ein Auge auf die Knechte warf. So ganz traute er Junker Ingold nicht, denn wer einmal falsch geschworen hatte, war in seinen Augen noch zu ganz anderen Taten fähig.
Der Kastellan spürte die Zurückweisung und bedauerte den Tag, an dem er nach Kibitzstein gekommen war. Er schob diesen Gedanken aber sofort wieder von sich, denn als Untergebener eines anderen Herrn hätte er Schwanhild wohl nie kennen gelernt. Ihn zog es stärker denn je zu der jungen Frau, doch ihm war bewusst, dass seine Sehnsüchte sich niemals erfüllen würden. Er wünschte sich nur, mit Schwanhild zu reden und sie trösten zu können. Wie wenig ihr Wille noch galt, konnte man schon daran sehen, dass Michel neben Zdenka auch Mariele auf die Burg zurückgeholt und wieder zu Trudis Kindsmagd gemacht hatte. MichisSchwester hielt zwar ihr Mundwerk im Zaum, doch jeder wusste, dass sie ihn aus ganzem Herzen hasste und Schwanhild nicht minder.
Als Trudis Pflegerin zählte Mariele zu jenen, die Kibitzstein nach dem Frühstück verließen. Der Junker gab der Reisegruppe bis an die Grenze des Kibitzsteiner Gebiets das Geleit und kehrte dann schweren Herzens in die Burg zurück. Eigentlich hätte er sich freuen sollen, fuhr es ihm durch den Kopf. Solange Michel fern war, konnte er wieder frei atmen und seinen Pflichten nachgehen, ohne dass der misstrauische Blick des Burgherrn ihm folgte.
Bisher hatte es ihm immer Freude bereitet, Michel Adler zu vertreten. Doch als er durch das Tor ritt und von seinem Pferd stieg, fühlte er einen Schatten über der Burg, der ihn trotz der warmen Herbstsonne frösteln ließ. Schwanhild, die ebenfalls zu frieren schien, empfing ihn am Eingang des Palas. Das war nicht klug, doch sie war so wütend, dass sie sich über die warnenden Worte ihrer Leibmagd hinweggesetzt hatte.
»Man hat mir zugetragen, mein Gemahl wolle nach Nürnberg reisen.« Schwanhild stieß das Wort Gemahl hervor, als wäre es ein Fluch.
Der Junker neigte den Kopf. »So hat er es mir gesagt.«
»Warum er reist, weißt du nicht?«
Mit einem wehmütigen Seufzen hob Ingold die Arme. »Die Zeiten, in denen Herr Michel mich ins Vertrauen gezogen hat, sind lange vorbei.«
»Ich denke, ich weiß, was er vorhat! Er will mit dem Kaiser oder dessen Vertreter in Nürnberg über mich sprechen und versuchen, die Ehe mit mir auflösen zu lassen. Mein Kind soll ein Bastard werden, der an keiner edlen Tafel sitzen darf und einmal froh sein muss, einen frei geborenen Ehemann zu finden. Dabei ist es seine Tochter! Ich habe es wieder und wieder beschworen, doch er hört mir nicht einmal zu.«
Tränen rannen über Schwanhilds Wangen, gleichzeitig funkelten ihre Augen vor Zorn. Sie hatte diesen unedel geborenen Michel Adler nicht freiwillig geheiratet. Statt Dankbarkeit zu ernten, weil sie sich zu ihm herabgelassen hatte, wurde sie beiseite geschoben wie ein zu alt gewordenes Pferd. Doch sie hatte zumindest in den ersten Monaten ihrer Ehe die Freuden des Bettes kennen und schätzen gelernt und war nicht gewillt, auf Dauer darauf zu verzichten.
Nach dem Schock über Marieles Beschuldigungen, die der Junker nur durch seinen Schwur aus der Welt hatte schaffen können, war sie bereit gewesen, ihrem Gemahl eine treue und folgsame Ehefrau zu sein. Aber sein verletzendes Wesen hatte diesen Vorsatz zunichte gemacht, und nun hasste sie ihren Mann mehr als je zuvor. Ihre Abneigung machte auch vor ihrem Kind nicht Halt. Sie nährte es, weil sie in den Dörfern, die zu Kibitzstein gehörten, keine Amme gefunden hatte. Das kreidete sie ebenfalls dem Gesindel an, welches ihre Vorgängerin auf die Burg geholt hatte. Doch sie durfte die Kleine nicht vernachlässigen, sonst würde ihr niemand mehr glauben, dass das Kind die Tochter ihres Ehemanns war.
Schwanhild musterte das bleiche Gesicht des Junkers. Es war in den letzten Monaten schmal geworden und sein Blick wirkte nach innen gerichtet. Sie spürte, wie er unter der Situation litt, und rechnete es ihm hoch an, dass er geblieben war. Ihm war sie zu höchstem Dank verpflichtet, denn er hatte seine Ehre geopfert, um die ihre zu retten, und es schmerzte sie zu sehen, wie die
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