Das Vermächtnis der Wanderhure
Starrsinnigkeit ihres Ehemanns dieses Opfer wertlos zu machen drohte. Das allerdings konnte sie dem Junker nicht vor all den Ohren hier erklären.
Stattdessen lachte sie bitter auf. »Da mein Gemahl die Burg verlassen hat, warten gewiss viele Pflichten auf Euch, Herr Junker. Ich will Euch nicht länger davon abhalten.«
II.
F rieda rang verzweifelt die Hände und flehte zu Gott, ihre Herrin Vernunft annehmen zu lassen. »Das könnt Ihr nicht tun! Wenn es herauskommt, seid Ihr verloren – und der Junker mit Euch!«
Schwanhild warf den Kopf hoch und fauchte sie zornig an. »Sei still! Sonst erzürnst du mich noch. Und jetzt gib mir dein Gewand.«
Die Leibmagd senkte bekümmert den Kopf. Schwanhilds Vorhaben erschien ihr so unvernünftig, dass es sie vor Angst schüttelte. Sie wusste aber, wann sie den Mund zu halten hatte. Als sie ihre Schürze ablegte und aus ihrem Kleid schlüpfte, verkrampften sich ihre Rückenmuskeln, als spüre sie bereits die Rutenhiebe, zu denen man sie verurteilen würde, wenn man die Herrin in ihren Kleidern auf Abwegen entdeckte. Gleichzeitig sorgte sie sich um Schwanhild, denn auf diese würde Schlimmeres warten als Schläge. Wenn ihr Gemahl sie nicht auf der Stelle umbrachte, wie es schon viele Standesherren mit ihren untreuen Gattinnen getan hatten, würde er sie in ein Kloster stecken, in dem sie den Rest ihres Lebens für ihr Vergehen mit Gebeten und Kasteiungen büßen musste. Die Dienerin wusste nicht zu sagen, welches Schicksal sie schrecklicher dünkte.
»Dein Hemd kannst du anlassen. Kleid und Schultertuch reichen aus, damit die Leute mich für dich halten.« Schwanhild streckte den Arm aus und hinderte Frieda daran, sich vollkommen nackt auszuziehen. Stattdessen forderte sie sie auf, ihr in das Kleid zu helfen. Kaum war sie angezogen, eilte sie zur Tür.
»Soll ich nicht lieber schauen, ob die Luft rein ist?«, fragte Frieda ängstlich.
»Im Hemd, als wärst du auf dem Weg zu deinem Liebsten?« In Schwanhilds Stimme schwang leiser Spott, denn die jungen Burschen auf Kibitzstein machten einen weiten Bogen um die Leibmagdihrer Herrin, obwohl diese recht ansehnlich war. Frieda selbst wäre einer kleinen Tändelei nicht abgeneigt gewesen, doch seit dem Zwischenfall mit Mariele behandelten die Bewohner der Burg sie wie eine Aussätzige.
Schwanhild schob das Mädchen beiseite und öffnete die Tür. Auf dem zugigen Flur kam ihr zu Bewusstsein, was sie im Begriff war zu tun, und für einen Augenblick erschreckte sie die Verworfenheit ihres Vorhabens. Dann biss sie die Zähne zusammen und machte sich auf den Weg. In der Burg schliefen alle mit Ausnahme der Wachen, deren Stimmen von Zeit zu Zeit verkündeten, es sei alles in bester Ordnung.
Schwanhild schürzte die Lippen, als der Ruf des Türmers durch ein offenes Fensterloch hallte. Sollte der Mann sein Augenmerk ruhig auf die Vorgänge außerhalb der Burg richten. Von dem, was hier drinnen geschah, würde er nichts bemerken. Rasch eilte sie zur Treppe und stieg möglichst lautlos hinab zu dem Korridor, an dessen Ende das Zimmer des Junkers lag. Als Kastellan hatte er eine eigene Kammer, genau wie andere höhere Bedienstete und der Anführer der Reisigen. Die Waffenknechte schliefen in einem Gemeinschaftsraum ebenso wie die Mägde, die unter der Aufsicht einer Vertrauten der Wirtschafterin standen. Nur die Knechte mussten mit Strohsäcken in der Halle vorlieb nehmen. Anders als in den meisten Burgen waren auf Kibitzstein keine Schläfer in den Fluren zu finden, und dieser Umstand kam ihr nun zugute.
An Ingolds Tür verharrte Schwanhild und sah sich um. Hinter ihr gähnte die Dunkelheit, in der nicht mehr zu vernehmen war als das Trippeln einer Ratte oder einer Maus. Das harmlose Geräusch erschreckte die Burgherrin, deren Nerven zum Zerreißen gespannt waren, so dass sie beinahe die Öllampe fallen gelassen hätte. Im letzten Moment hielt sie das Tongefäß fest und drückte die Klinke nieder. War die Tür verschlossen, würde sie klopfen müssen. Das wäre riskant, denn jedes ungewöhnliche Geräuschkonnte jemand herbeilocken, der auf dem Weg zum Abtritt war. Zu ihrer Erleichterung hatte der Junker den Riegel nicht vorgeschoben.
Schwanhild drückte die Tür auf, schlüpfte ins Zimmer und schloss sie hinter sich. Dann schob sie den Riegel in die dafür vorgesehenen Krampen. Das schleifende Geräusch drang in Ingolds Unterbewusstsein, und er murmelte etwas, das sie für ihren eigenen Namen hielt. Dafür hätte sie ihn
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