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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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als er den unangemeldeten Besuchern begegnete. Bevor er Marie nach Namen und Begehr fragen konnte, herrschte diese ihn an: »Führe uns zum Kaiser!«
    Der Mann wusste nicht so recht, wie er darauf reagieren sollte. Die Wache zu rufen und die impertinente Person samt ihrer Begleitung hinauswerfen zu lassen wagte er nicht. Daher verbeugte er sich steif vor Marie und winkte ihr, ihm zu folgen. Sollte doch der Zorn des Kaisers diese Leute treffen. Herr Sigismund war nämlich nicht nach Nürnberg gekommen, um Hof zu halten und Audienzen zu geben, sondern um mit seinem Schwiegersohn Albrecht von Österreich den Kurfürsten Ludwig von der Pfalz und den Markgrafen Friedrich von Brandenburg, welcher gleichzeitig der Burggraf von Nürnberg war, um Krieger oder wenigstens um Geld zu bitten, so entwürdigend dies für den Herrn des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation auch sein mochte. Eine Adelsdame, die wegen irgendwelcher Belange seine Aufmerksamkeit forderte, störte hier nur.
    Während der Kammerherr die Gruppe durch die verschlungenen Korridore der Burg führte, versuchte Marie, sich die Worte zurechtzulegen, mit denen sie Sigismund dazu bewegen wollte, sich ihrer Sache anzunehmen. Sie formte noch immer den ersten Satz, als sie den Raum erreichten, in dem der Höfling seinen Herrn wusste. Zwei Diener öffneten auf seinen Wink hin die Tür und gaben ihr den Weg frei. Marie atmete noch einmal tief durch und trat ein.
    Kaiser Sigismund saß auf einem geschnitzten Sessel mit hoherLehne und hielt einen goldenen Pokal in der Hand. Ihm gegenüber befanden sich die Herren Albrecht, Ludwig und Friedrich auf Klappstühlen, die niedrig genug waren, dass er auf sie herabsehen konnte. Er war gereizt, denn bis jetzt hatten sich seine Gesprächspartner als hartleibig erwiesen und keinerlei Zusagen gemacht. Als er Schritte hörte, fuhr er hoch und öffnete den Mund, um den Störenfried zur Rede zu stellen.
    Bei Maries Anblick färbte sein Gesicht sich kalkweiß. Der Pokal entfiel seiner kraftlos gewordenen Hand und rollte scheppernd über den Boden. Dabei schnappte er nach Luft wie ein Karpfen, der auf dem Trockenen liegt, und suchte vergebens, die Gewalt über seine Stimme wiederzugewinnen. Es war kein Trost für ihn, dass es seinem Schwiegersohn, dem Pfälzer und dem Burggrafen nicht anders erging.
    Als die Frau, die dem Grabe entstiegen schien, vor ihm stand, gewann er die Gewalt über seine Stimme zurück. »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, seid Ihr es wirklich, Frau Marie?«
    Marie knickste vor ihm. »Ich bin es, Eure Majestät, und ich habe Klage zu führen gegen eine Feindin, die mich verderben wollte!«

ACHTER TEIL
     

Die Vergeltung

I.
     
    M ichel starrte fassungslos das Schreiben an. Was fiel Seiner Majestät Kaiser Sigismund ein, ihn ausgerechnet im Herbst zu sich zu rufen? In dieser Jahreszeit stand viel Arbeit an, insbesondere die Weinlese. Wenn er der Aufforderung folgte und nach Nürnberg ritt, würde er nicht rechtzeitig zurückkommen, um seine Leute zu beaufsichtigten und hinterher Erntedank mit ihnen zu feiern, der mit einem großen Gottesdienst und anschließendem Fest begangen wurde. Zwar konnte er die Aufsicht über die meisten Arbeiten Junker Ingold überlassen, doch dessen Stand auf der Burg war seit Marieles Bestrafung nicht mehr der beste.
    Michel blieb jedoch keine andere Wahl, als dem Kaiser zu gehorchen, auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, aus welchem Grund Sigismund ihn rufen ließ. Für einen Kriegszug war das Jahr zu weit fortgeschritten, in wenigen Wochen würde sich das Wetter als mächtigerer Gegner erweisen als jeder Feind. Da überkam ihn ein Verdacht. Hatte Schwanhild heimlich einen Boten zu ihrem Vater oder einem anderen Verwandten geschickt und sich über ihn beschwert? Sie war vor knapp zwei Monaten mit einer Tochter niedergekommen, doch bis jetzt hatte er weder ihr noch dem Mädchen Beachtung geschenkt. Der Verdacht, es könnte nicht sein Kind, sondern das des Junkers sein, nagte an seinem Herzen wie eine Maus an einem Stück Speck. Er traute dem Schwur nicht, den Ingold geleistet hatte. Dafür wirkte der Junker ihm zu schuldbewusst. Schwanhild hingegen beteuerte die Ehelichkeit ihres Kindes mit jedem Atemzug. Möglicherweise hatte sie nun sogar den Kaiser um Hilfe gebeten.
    Michel war bereit, Sigismund ebenso zu trotzen wie Schwanhilds hochrangigen Verwandten, von Ludwig von der Pfalz angefangen bis zu den bayerischen Herzögen Heinrich, Ludwig

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