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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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flink, um sich unauffällig einfangen zu lassen.
    Unterdessen klopfte Michels Führer an eine andere Tür auf dem gleichen Flur, öffnete sie, ohne auf ein Herein zu warten, und winkte Michel einzutreten. Dieser setzte einen Fuß über die Schwelle und blickte in einen kleinen Raum mit hölzernen Wandvertäfelungen, in dem sich nur ein einzelner Stuhl befand. Eine Frau saß mit dem Rücken zu ihm und blickte durch ein Fenster auf die Stadt hinunter. Michel hatte den Burggrafen erwartetoder wenigstens einen hohen Würdenträger und räusperte sich daher ärgerlich.
    In dem Augenblick schlüpfte seine Tochter an ihm vorbei, lief auf die Frau zu und starrte sie an.
    »Mama?«
    Es lag so viel Sehnsucht in diesem Wort, dass Marie die Tränen in die Augen stiegen. Sie erhob sich und musste sich dann an der Lehne festhalten, weil ihr schwindlig wurde.
    »Trudi, mein liebes Kleines!« Sie blickte staunend auf das Kind herab, das ein ganzes Stück gewachsen war und sie aus tiefblauen Augen anstrahlte. Dann sank sie in die Knie und zog ihre Tochter an sich.
    Wie betäubt machte Michel einige Schritte auf die beiden zu und griff an seinen Kopf, der sich mit einem Mal so leer anfühlte wie ein umgestülpter Korb. Doch seine Augen bestätigten ihm, was seine Ohren ihm schon gemeldet hatten: die Frau vor ihm war seine Marie. Sie wirkte älter, als er sie in Erinnerung hatte, und Falten, die sich tief um Mund und Augen eingegraben hatten, verrieten, dass sie eine schwere Zeit hinter sich gebracht haben musste. Dennoch erschien sie ihm so schön wie nie zuvor. Er kniete vor ihr nieder, lehnte seinen Kopf gegen ihre Brust und begann haltlos zu schluchzen.
    »Marie, du lebst! Jetzt wird doch noch alles gut.«
    Trudi blickte mit äußerst zufriedener Miene zu ihm auf. »Jetzt muss diese böse Frau fort, nicht wahr?«
    In diesem Moment überkam Michel die Scham, sich nicht energischer gegen diese Ehe gesträubt zu haben. Er versuchte zu sprechen, brachte aber nur ein paar stammelnde Worte hervor.
    Daher übernahm Mariele, die lautlos eingetreten war, die Aufgabe, ihre Patentante über die neuen Verhältnisse auf Kibitzstein aufzuklären. »Herr Michel musste wieder heiraten. Der Kaiser hat ihm die Frau aufgezwungen. Sie ist ein unangenehmes, ekelhaftes Ding und hat den Herrn mit dem Kastellan betrogen.«
    Im ersten Augenblick hätte Michel das vorlaute Mädchen verprügeln können, denn er hatte Marie diese Nachricht so schonend wie möglich beibringen wollen. An der Reaktion seiner Frau merkte er jedoch, dass Mariele die richtigen Worte gewählt hatte. Marie begriff sofort, dass Michel von Sigismund zu einer zweiten Ehe gedrängt worden war, die anscheinend zu einer Katastrophe auszuarten drohte.
    Sie schüttelte sich, als streife sie einen unangenehmen Gedanken ab, und lächelte ihm aufmunternd zu. »Fasse Mut, mein Lieber. Diese Wirren werden sich lösen lassen. Wenn es nicht anders geht, kaufe ich mir ein Häuschen in deiner Nähe und lebe mit Trudi dort.«
    »Das lasse ich nicht zu! Trudi, du und ich gehören zusammen. Doch sag, was ist damals geschehen? Wir hatten sichere Beweise, dass du im Rhein ertrunken bist. Man hat eine tote blonde Frau mit deinem Kleid gefunden. Was konnte dich so lange von mir fern halten? Dein Kind hast du wohl verloren?« Michel lächelte wehmütig, denn trotz der Liebe, die er für Trudi empfand, hätte er gerne noch einen Sohn gehabt.
    In dem Augenblick kam Alika mit der kleinen Lisa auf dem Arm herein.
    Michel schluckte, als er das dunkle Gesicht erblickte, und Mariele schrie vor Schreck auf. Trudi hingegen legte den Kopf zur Seite und betrachtete die befremdliche Gestalt neugierig. Michel fasste sich als Erster und wies auf das Kind. »Ist das unsere Tochter?« Er ging darauf zu, wagte es aber nicht, Lisa aus Alikas Händen zu nehmen.
    »Man kann Lisa meine Tochter nennen, doch ich habe sie nicht geboren.« Maries Stimme nahm einen harten Klang an, und in ihren Augen glühte mit einem Mal ein Feuer. »Das ist die jüngste Tochter von Falko und Hulda von Hettenheim. Sie wurde von der eigenen Mutter dem Verderben preisgegeben und hat mein Schicksal geteilt. Das wird sie auch weiterhin tun, denn ich habe sie in düsteren Stunden genährt, in denen es keine Hoffnungmehr zu geben schien, und sie gab mir dafür die Kraft und den Mut, weiterzukämpfen. Ich werde sie niemals aufgeben, Michel! Niemals! Hast du mich verstanden?«
    Michel verstand überhaupt nichts. Er begriff nur, dass seine Frau, seine erste

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