Das Vermächtnis der Wanderhure
einbeinigen Krüppel gefunden. Nun hockte Timo mit sich und der Welt zufrieden auf dem vordersten Wagen und brachte es fertig, die Trossknechte in strenger Zucht zu halten.
Michels einstiger Waffenmeister war nicht der einzige Getreue aus alter Zeit, der sich dem Kriegszug angeschlossen hatte. Direkt an der Spitze der Truppe ritt Ritter Dietmar von Arnstein mit einem Aufgebot aus seiner Schwarzwälder Heimat. Ihn begleitete sein ältester Sohn Grimald, ein schmucker Jüngling, der im nächsten Jahr den Ritterschlag erhalten sollte. Der junge Arnsteiner hatte bisher noch keinen Kriegszug mitgemacht und rutschte so nervös im Sattel herum, als erwarte er jeden Augenblick einen Überfall gegnerischer Truppen.
Marie schenkte dem jungen Mann ein aufmunterndes Lächeln und sah sich dann nach Ritter Heinrich und dessen Leuten um. Der Abt des Klosters zu Vertlingen hielt offensichtlich große Stücke auf seinen Vogt, denn er hatte ihm nicht nur den größten Teil seiner Kriegsknechte mitgegeben, sondern auch Nachbarn dafür gewonnen, sich Heinrich anzuschließen.
Die Nachhut unterstand Heribert von Seibelstorff, der sich aufdem böhmischen Feldzug in die angebliche Marketenderin Marie verliebt hatte und nach Michels Rettung sein Glück bei der Gräfin Sokolna gefunden hatte. Er war immer noch so begeisterungsfähig wie zu jener Zeit und gierte danach, Marie und Michel ebenso wie Heinrich von Hettenheim zu ihrem Recht zu verhelfen. Neben ihm ritt Andrej Grigorijewitsch in seinem vergoldeten Schuppenpanzer und dem spitz zulaufenden Helm. Für ihn stellte diese Fehde eine willkommene Gelegenheit dar, sich auszuzeichnen und einem der hohen Herren aufzufallen, denn auf Kaiser Sigismunds halbes Versprechen, ihm ein Reichslehen zu überlassen, wollte er sich nicht verlassen.
Mit diesem schlagkräftigen Heer konnte Marie ebenso zufrieden sein wie mit dem bisherigen Kriegsverlauf. Die Ritter und Kastellane, die die Burgen Rumold von Lauensteins verwalteten, hatten nicht gewagt, sich dem Befehl des Pfalzgrafen zu widersetzen, und offen erklärt, nicht für die Tochter ihres Herrn kämpfen zu wollen. Der gleiche Grund hatte – zusammen mit der Fama eines mächtigen Heerbanns, der dem zukünftigen Herrn des Hettenheimer Lehens folgte – zwei von Huldas Gefolgsleuten bewogen, die Tore ihrer Burgen für Heinrich zu öffnen. Nur Hettenheim selbst und die abgelegene Otternburg standen treu zu ihrer Herrin.
Marie glaubte Hulda von Hettenheim gut genug zu kennen und nahm an, dass diese sich der Treue der Leute auf der kleineren Burg sicherer sein konnte als auf der wesentlich größeren Stammburg, deren Männer noch von ihrem Ehemann ausgesucht worden waren. Deswegen hatte sie Michel und Ritter Heinrich gebeten, Hettenheim links liegen zu lassen und gegen die Otternburg zu ziehen. Dort, wo ihr Elend begonnen hatte, würde wohl auch die Entscheidung fallen.
Eine Hand griff in ihren Zügel. Als Marie aufschaute, sah sie Michel vor sich. »Unsere Vorreiter melden, dass die Burg in Sicht ist. Wir werden sie in weniger als zwei Stunden erreicht haben.«
»Endlich!« Marie atmete tief durch, entzog Michel den Zügel und ließ Häschen antraben. »Ich muss sie sehen!«
»Nimm die Kuppe des nächsten Hügels. Von dort aus müsstest du einen guten Blick auf die Wehranlage haben. Weiter lasse ich dich nicht reiten.«
Michel folgte Marie ein Stück und seufzte erleichtert, als er sah, dass sie tatsächlich oben auf dem Kamm anhielt. Gleichzeitig machte ihn der Anblick der Frau, die er liebte, ein wenig traurig. Ihr Verhältnis war noch nicht endgültig geregelt, und deswegen bestand Marie darauf, in getrennten Betten zu schlafen. Michel aber sehnte sich mehr denn je nach ihr und glaubte auch bei ihr den Wunsch zu spüren, in seine Arme zurückzukehren, doch sie hielt ihn freundlich, aber bestimmt auf Abstand. Er hoffte inständig auf einen glücklichen Ausgang dieses Feldzugs, denn wenn Marie erst ihren Sohn in Armen hielt, würde das Eis zwischen ihnen brechen und sie auch wieder für ihn da sein, daran glaubte er fest. Für einen Augenblick empfand Michel eine rasende Eifersucht auf jenes kleine Wesen, das die Sinne seiner Frau völlig gefangen zu nehmen schien, und fürchtete sich ein wenig vor der Zukunft. Im Grunde zweifelte er daran, das Kind nach einem Sieg noch lebend vorzufinden. Ob es ihm dann gelänge, Marie aus jener Starre zu wecken, in die sie sich dann flüchten würde? Leicht würde sie es ihm gewiss nicht machen.
Gleich
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