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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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das Kind über die Tiefe.
    Keine zehn Schritt von ihr entfernt hatte Michel die Mauerkrone erklommen, doch er fühlte sich so hilflos, als wären es tausend Meilen. Er blickte Ritter Heinrich fragend an. Dieser sah aus, als müsse er ebenso viele Kröten schlucken, wie er Männer anführte, und als er seinen Hornisten anwies, zum Rückzug zu blasen, klang seine Stimme kaum noch menschlich.
    Frau Hulda blieb oben auf dem Turm, bis die Belagerer sich wieder ins Tal zurückgezogen hatten, und wies dann hohnlachend auf den Jungen.
    »Das hier ist meine stärkste Waffe, Xander. Wie du siehst, schlägt sie ein. Ich muss mit dem Kind hier im Turm bleiben, um eingreifen zu können, falls diese Narren einen weiteren Vorstoß wagen sollten. Du wirst sehen, wie schnell es mir gelingt, Unfrieden in den Reihen unserer Feinde zu säen. Michel Adler wird seinen Sohn nicht gefährden wollen, doch genauso wenig dürfte Ritter Heinrich seinen Anspruch auf Hettenheim aufgeben. Also werden sie sich früher oder später die Köpfe einschlagen und uns den Sieg schenken!«
    Xander nickte beeindruckt. »Ihr seid wirklich eine Meisterin, Frau Hulda. Wenn ich nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, dass sich ein überlegenes Heer vor Euch zurückzieht, hätte ich es nicht geglaubt. Ich habe die Otternburg und uns bereits verloren gegeben.«
    »Diese Hure da unten hängt an ihrem Balg. Sonst wäre sie nicht aus jener Hölle zurückgekehrt, in die wir sie geschickt haben. Das machen wir uns zunutze!«

XII.
     
    W ährend Frau Hulda triumphierte, herrschte im Lager der Angreifer schiere Verzweiflung. Michel hatte den Kriegsrat in seinem Zelt zusammengerufen, doch die Anwesenden sahen sich zunächst nur ratlos an.
    Marie saß in der Ecke des Zeltes auf einem Faltsessel und hielt den Umhang eng um sich geschlungen. Sie fror, aber nicht vor Kälte.
    »Was können wir tun?«, fragte sie in die lähmende Stille hinein. Michel stöhnte. »Ich kann nicht den Sturm befehlen, wenn das Ergebnis der Tod meines Sohnes ist!«
    Dietmar von Arnstein brummte etwas Unverständliches, während Heribert von Seibelstorff mehrmals zum Sprechen ansetzte, aber jedes Mal nach dem ersten Wort wieder aufhörte. Schließlich stieß Heinrich von Hettenheim einen wüsten Fluch aus. »Uns bleibt nichts anderes übrig, als erst einmal nachzugeben. Lieber bleibe ich mein Leben lang ein Dienstmann der frommen Brüder zu Vertlingen, als den Tod von Maries und Michels Sohn auf mein Gewissen zu nehmen.«
    Bis auf Andrej nickten die anderen bedrückt. Der Russe hatte in den letzten Wochen zwar eifrig versucht, die deutsche Sprache zu lernen, doch sein Wortschatz war noch zu gering, um sich verständlich machen zu können. Daher wandte er sich in seiner Muttersprache an Marie. »Darf ich einige Worte dazu sagen, und würdest du sie übersetzen, auch wenn sie dich schmerzen?«
    »Sprich ruhig! Mir ist jeder Rat willkommen.« Marie wischte sich die Tränen aus den Augen und konzentrierte sich auf das,was Andrej sagte. Er legte dabei immer wieder Pausen ein, damit sie es für Michel und ihre Freunde übersetzen konnte.
    »Wir müssen die Burg stürmen, egal, was die Frau dort oben auf dem Turm sagt. Geben wir ihrer ersten Forderung nach, wird sie weitere Bedingungen stellen. Nach dem Rückzug von dieser Burg wird sie die Übergabe der Burgen fordern, die bereits in unserer Gewalt sind, und selbst das wird ihr nicht genügen. Hat sie uns einmal gedemütigt, wird sie es immer wieder versuchen und zuletzt Zusagen fordern, die keiner von uns mehr zu erfüllen in der Lage ist, wie die Freilassung ihres Vaters. Sie wird sich immer weiter in ihren Triumph über uns hineinsteigern, bis ihr nichts anderes mehr übrig bleibt, als das Kind zu töten, damit sie sich am Entsetzen seiner wirklichen Mutter weiden kann.«
    Im ersten Augeblick wollte Marie ihm vehement widersprechen, dann aber wurde ihr klar, dass Andrej Recht hatte. Hulda würde sich niemals mit dem Erreichten zufrieden geben, sondern versuchen, sich mit allen Mitteln an ihr und Michel zu rächen. Sie dachte über einen möglichen Ausweg nach und begann, als sie keinen fand, mit einem bitteren Auflachen zu sprechen.
    »Ich muss Andrej zustimmen. Selbst wenn wir wieder und wieder nachgeben und sie meinen Sohn tatsächlich nicht tötet, macht das die Situation nicht besser. Sie wird den Kleinen in ihrem Sinn erziehen und einen zweiten Falko von Hettenheim aus ihm machen. Lieber sehe ich ihn tot, als dass ich miterleben muss, welch

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