Das Vermächtnis der Wanderhure
Übrigens hat Eure Älteste mit all Euren Töchtern die Otternburg verlassen wollen, doch Eure Zweitgeborene hat das Vorhaben meinem Stellvertreter verraten. Er hat drei der jüngeren Mädchen eingefangen, bevor sie aus der Pforte schlüpfen konnten. Mena und die Drittälteste sind ihm jedoch entkommen und sofort in die Hände des Feindes gefallen. Sie dürften sich jetzt wohl in dem Lager dort unten befinden.« Xander wand sich unbehaglich, denn er fürchtete, seine Herrin würde ihn für die Flucht der beiden Töchter verantwortlich machen.
»Die beiden gelten mir nichts. Wenn Michel Adler glaubt, mich mit ihnen erpressen zu können, hat er sich getäuscht. Sollen seine Leute doch mit ihnen machen, was sie wollen!« Obwohl Frau Hulda ihre Töchter zu sich geholt hatte, um sie nicht in die Hände der Feinde fallen zu lassen, ging sie nun über den Verlust hinweg, als handle es sich um einen Krug sauer gewordener Milch.
Mit einer Handbewegung, als wolle sie eine störende Fliege vertreiben, drehte sie sich zu Xander um. »Lass die anderen vier einsperren, sonst wollen sie doch noch ihren Schwestern folgen.« »Auch die, die den Fluchtplan verraten hat?«
Hulda von Hettenheim lachte ihren Hauptmann aus. »Willst du deine Hand für sie ins Feuer legen? Nein? Dann geh und tu, was ich dir befohlen habe!«
Während sie ihm nachsah, lächelte sie boshaft, denn sie liebte es, Xander immer wieder in seine Schranken zu weisen, ihn wie einen gewöhnlichen Dienstboten zu behandeln und dabei sein Mienenspiel zu beobachten. Auf diese Weise hinderte sie ihn daran, sich zu viel herauszunehmen, denn er war nicht nur ihr Vertrauter, sondern seit anderthalb Jahren auch ihr Liebhaber. Währendihrer Ehe hatte sie sich oft gefragt, wie es kam, dass es einigen Frauen sogar gefiel, mit einem Mann zusammenzuliegen. Inzwischen wusste sie es und verachtete ihren toten Gemahl, der ihr Schmerzen bereitet hatte statt Lust. Nun genoss sie ihre Macht über den besitzlosen Ritter, der ganz von ihrer Gnade abhing und gegen seine Natur so sanft und zärtlich mit ihr umgehen musste, als bestände sie aus hauchfeinem Glas.
In dem Augenblick kehrte Xander zurück und unterbrach ihren Gedankengang. »Seht nach unten, Herrin! Man schickt uns Botschaft!«
Er wies auf einen Mann, der den prachtvollen Wappenrock eines pfalzgräflichen Herolds trug, und sah, dass Hulda für einen Augenblick ebenso verunsichert wirkte wie er. Wie es aussah, steckte der Pfalzgraf hinter dem Heerzug und wollte seine widerspenstige Gefolgsfrau mit Gewalt zur Ordnung rufen.
Weder Xander noch seine Herrin ahnten, dass dieser Mann die einzige Hilfe darstellte, die Herr Ludwig Marie und Michel neben einem Fähnlein kaiserlichen Fußvolks zugestanden hatte. Der Herold ritt den steilen Weg hoch, verhielt sein Pferd ein Stück vor dem Tor und hob die Hand, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Da er die Burgherrin oben auf dem Turm erkannt hatte, hoffte er, diese Angelegenheit kraft seiner Autorität und der seines Herrn ein für allemal klären zu können.
»Gott zum Gruße, Herrin! Im Namen unseres allererhabensten Herrn Ludwig von Wittelsbach, des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation Kurfürst und Pfalzgraf bei Rhein, fordere ich Euch auf, die Tore Eurer Burg zu öffnen, das Kind, das Ihr widerrechtlich als das Eure ausgegeben habt, seiner wahren Mutter zu übergeben und Euch der Gnade unseres durchlauchtigsten Fürsten anzuvertrauen!«
Huldas Gesicht färbte sich rot vor Zorn. Mit raschem Schritt stieg sie auf die Wehrmauer des Turmes, schürzte die Röcke, mit denen sie sich gegen die Kälte gewappnet hatte, und ließ ihr Wasserrinnen. »Das ist die einzige Antwort, die du und diese Hure von mir bekommen werdet!«
Ihre Geste war auch für den Herold nicht misszuverstehen. Höchstverärgert, weil in seiner Person auch sein Herr beleidigt worden war, zog er sein Pferd herum und ritt ins Tal zurück. Dort hätte es seines Berichtes nicht bedurft, denn im Lager hatten sich aller Augen auf Frau Hulda gerichtet, und von Marie angefangen bis zum letzten Trossknecht wussten alle, dass die Burg erstürmt werden musste.
XI.
D ie Belagerung einer Festung stellte die Angreifer auch bei besserem Wetter vor etliche Probleme. Zu dieser Jahreszeit kam noch die Kälte hinzu, die die Glieder erstarren ließ, und der zu Eis festgetretene Schnee erschwerte jeden Schritt. Das einzig Gute war die Tatsache, dass das Wetter jene Seuchen verhinderte, die regelmäßig in
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