Das Vermächtnis der Wanderhure
die Börse.
Ohne ein weiteres Wort verließ der Reisige die Stube und eilte hinab. Als er dem Wirt die Münzen vorzählte, leckte dieser sich genießerisch die Lippen. Er hatte Maries Leuten nicht nur den Preis für deren Übernachtung berechnet, sondern ihnen auch noch das schöne Zimmer, in dem Marie zwei Nächte geschlafen hatte, bis zu diesem Tag in Rechnung gestellt, obwohl er es in der Zwischenzeit schon an andere Gäste hatte vermieten können. Auf diese Posten hatte er noch einmal die gleiche Summe aufgeschlagen, um sich für den ganzen Ärger zu entschädigen.
Marie hätte ihm die Schiefertafel, auf der er seine Forderung notiert hatte, um die Ohren geschlagen und den Stadtrichter rufen lassen, damit dieser dem Wirt die Leviten las. Gereon verfügte jedoch weder über die Erfahrung noch über die Durchsetzungsfähigkeit seiner verschwundenen Herrin und bezahlte daher die Rechung auf Heller und Pfennig. Danach fühlte sich die Börse erheblich leichter an, aber sie enthielt immer noch mehr Geld, als er und Dieter je auf einem Haufen gesehen hatten. In den Augen der Reisigen reichte es für die Heimfahrt und darüber hinaus fürein paar Annehmlichkeiten wie den guten Wein, den sie sich anschließend kredenzen ließen.
Als Anni später in die Wirtsstube kam, fand sie die beiden Waffenknechte angetrunken und in bester Stimmung vor. »Sagt bloß, ihr vertrinkt das Geld der Herrin? Gebt mir sofort die Börse zurück!«
Gereon sah Dieter an und grinste. »Hörst du das Küken piepsen?«
»Ich werde euch gleich was piepsen. Gebt mir das Geld, bevor ihr es ganz versaufen könnt!« Anni baute sich vor den beiden Männern auf und funkelte sie zornig an.
Nach dem Verschwinden der Herrin hatte Maries Leibmagd den Reisigen das Geld für einen Becher Wein nur sehr knapp zugemessen, und daher schüttelten die beiden nun den Kopf. Jetzt saßen sie an der Quelle und hatten nicht die geringste Lust, die Börse wieder herzugeben.
Gereon wandte sich mit überheblicher Miene der jungen Frau zu.
»Geld gehört in die Hände eines erwachsenen Mannes! So eine wie du versteht nichts davon.«
Anni stand gerade an der Schwelle vom Kind zur erwachsenen Frau und war ihrer Meinung nach weitaus besser geeignet, das Geld zu verwalten, als diese beiden Kerle. Doch sie hätte ihnen die Börse mit Gewalt abnehmen müssen, und dazu war sie nicht in der Lage. Erneut bedauerte sie, dass Michi sie nicht begleitete. Ihr blieb nichts anderes übrig, als wutschnaubend die Wirtsstube zu verlassen und in ihre Kammer zurückzukehren. Als sie sich etwas beruhigt hatte, klammerte sie sich an die Hoffnung, die beiden Krieger würden vernünftig genug sein, die Reisekasse verantwortungsvoll zu verwalten.
Schon der nächste Morgen riss ein weiteres Loch in ihre Börse, denn der Schiffer, den Marie angeheuert hatte, war längst weitergefahren, nicht ohne den Vorschuss für die Fahrt bis zur Einmündung des Mains zu behalten und überdies noch ein Trinkgeld für das Ausräumen von Maries Habe verlangt zu haben.Nun mussten sie sich einen anderen Prahm suchen, der sie mitnahm. Da der Herbst bereits in den Winter überging, blieben die meisten Schiffer jedoch vor Ort, reparierten ihre Boote und widmeten sich ihren Familien, die sie monatelang nicht gesehen hatten. Es dauerte den ganzen Vormittag, bis Gereon einen Bootsbesitzer gefunden hatte, der bereit war, sie nach Mainz zu bringen. Der Preis, den der Mann für die Fahrt verlangte, war so happig, dass die beiden Reisigen schluckten. Sie bezahlten ihn jedoch anstandslos und wurden dafür mit einer Fahrt in einem offenen Kahn belohnt, über den der Wind so eisig pfiff, dass die durch das Spritzwasser klamm werdenden Decken die Kälte geradezu einzuladen schienen. Schon bald klapperten ihnen allen die Zähne, und der Schiffer rief immer wieder, dass er verrückt gewesen sei, sich auf dieses Abenteuer einzulassen. Trotz der horrenden Summe, die er bereits erhalten hatte, drohte er seinen Passagieren, sie im nächsten Hafen auszuladen und nach Hause zurückzukehren, wenn er nicht ein großes Trinkgeld bekäme.
III.
E s war der Beginn einer langen und ungemütlichen Reise. Als sie in Mainz ankamen, mussten sie sich erst einmal am Feuer einer Herberge aufwärmen. Die beiden Reisigen taten dies bei mehreren großen Humpen Wein, die ihnen ausgezeichnet schmeckten. Ihr sorgloser Umgang mit Maries Börse rief jedoch einen Langfinger auf den Plan, und ehe Gereon sich versah, war das Geld verschwunden und
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