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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Tag noch nicht gesehen. Als ich am Morgen in ihre Kammer gegangen bin, um ihr beim Ankleiden zu helfen, habe ich sie nicht vorgefunden. Das Kleid, das sie gestern getragen hat, ist ebenso verschwunden wie ihre Schuhe«, antwortete Anni unglücklich.
    »Sie wird schon wieder auftauchen. Wahrscheinlich ist sie in die Stadt gegangen und hat einen gut ausgestatteten Laden gefunden. Sie wollte doch noch einiges kaufen, um sich auf Kibitzstein einzurichten.« Damit hatte Gereon zwar Recht, doch Anni glaubte nicht daran. Marie hätte die Herberge niemals für längere Zeit verlassen, ohne ihr vorher Bescheid zu sagen, abgesehen davon,dass sie weder ihr Waschgeschirr benutzt noch gefrühstückt hatte. Sie versuchte, die Reisigen dazu zu bewegen, nach der Herrin zu suchen. Dieter und Gereon dachten jedoch nicht daran, die gemütliche Runde zu verlassen, denn sie hatten einen Becher guten Weines vor sich stehen und so viel Glück im Würfelspiel wie schon seit langem nicht mehr. Dieses Vergnügen wollten sie nicht Annis übertriebenen Ängsten opfern. Das Mädchen ließ aber nicht locker, und als es androhte, der Herrin später zu sagen, wie unwillig sie beide gewesen wären, stand Dieter auf.
    »Also gut, du Quälgeist! Ich sehe nach, wo ich Frau Marie finden kann.«
    »Danke!« Anni verließ ebenfalls die Wirtsstube, um in Maries Kammer nachzusehen, ob die Herrin inzwischen nicht doch zurückgekommen sei.
    Sie fand aber nur Mariele vor, die sichtlich mit den Tränen kämpfte. »Tante Marie ist noch immer nicht da!«
    »Keine Angst, sie wird schon wiederkommen«, versuchte Anni das Mädchen und auch sich selbst zu beruhigen.
    Als der Abend anbrach, ohne dass die Vermisste erschienen oder gefunden worden war, verflog das Wenige an Zuversicht, an das Anni sich geklammert hatte. Auch die Reisigen wurden jetzt nervös und forschten ernsthaft nach ihrer Herrin. Ein Knecht berichtete, er habe Marie in der letzten Nacht auf dem Weg zur Latrine gesehen, doch mehr wusste er nicht zu sagen. Zu allem Unglück waren die meisten Gäste, die in der Herberge übernachtet hatten, bereits weitergereist und konnten daher nicht befragt werden. Zuletzt schickte Anni Gereon zum Vogt, doch dieser kehrte schon bald mit einem Gesicht zurück, als habe man ihn geohrfeigt.
    »Der Vogt hat keine Zeit und sein Stellvertreter auch nicht. Die sind bei einem der Ratsherren zu Gast.«
    Obwohl Anni in den letzten Monaten mehrmals mit Michi aneinander geraten war, bedauerte sie jetzt, dass Marie ihn bei seiner Mutter in Rheinsobern zurückgelassen hatte. Marieles Bruder warzwar noch jung, aber er hätte sich gewiss nicht so leicht abspeisen lassen wie Gereon. Gleichzeitig musste sie die Angst niederkämpfen, die sich in ihr eingenistet hatte. Was konnte ihrer Herrin denn nur zugestoßen sein? Da sie es nicht aushielt, hilflos herumzusitzen und zu warten, durchsuchte sie noch einmal die gesamte Herberge. Dann ließ sie sich eine frische Kerze für ihre Laterne geben und lief am Rheinufer hinauf und hinunter. Dieter, der sie begleiten musste, murrte und schimpfte beinahe ununterbrochen, weil die Kälte der Nacht in die Knochen biss und er lieber mit einem Becher Wein in der Schankstube geblieben wäre.
    »Euch Weiber soll der Teufel holen!« Er meinte damit auch Marie, die seiner Überzeugung nach irgendwo warm in einer Stube saß, sich mit einer Bekannten unterhielt und vor lauter Schwatzen ihre Begleitung vergessen hatte. Anni, die wusste, dass Marie nie weggegangen wäre, ohne den anderen Bescheid zu sagen, spürte nun deutlich, wie die Angst an ihrem Herzen nagte.
    Am nächsten Tag ging sie persönlich zum Vogt und brachte den Mann mit dem Hinweis auf Maries Stand dazu, eine umfangreiche Suchaktion zu organisieren und in der ganzen Stadt nach der Vermissten fragen zu lassen. Doch niemand hatte Marie gesehen oder konnte Auskunft über ihren Verbleib geben. Auch in den Rheinauen gab es keinen Hinweis auf ihr Verschwinden, und nach sechs Tagen legte der Vogt den Fall als unlösbares Rätsel zu den Akten und empfahl Anni und Dieter, weiterzureisen und ihrem Herrn Bericht zu erstatten.

II.
     
    A nni war jedoch nicht bereit, den Rat des Vogts zu befolgen, sondern lief auf der Suche nach Marie kreuz und quer durch die Stadt und brachte Gereon und Dieter dazu, die umliegenden Ortschaften aufzusuchen und Erkundigungen einzuziehen.Nach zwei weiteren Wochen sahen die beiden Krieger keinen Sinn mehr darin, noch länger in Speyer zu bleiben und wie Jagdhunde nach

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