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Das Vermächtnis der Wanderhure

Titel: Das Vermächtnis der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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vermissen ließen.
    Eine zweite Wehe unterbrach ihre flatternden Gedanken und ließ sie aufstöhnen.
    »Ist es schon so weit?«, fragte Marga.
    Maria schüttelte mit zusammengebissenen Zähnen den Kopf.
    »Nein, das wird noch dauern. Kannst du mir etwas zu trinken holen?«
    Marga spitzte den Mund und spie ins Feuer. In den letzten Wochen hatte sie gehorchen und Marie bedienen müssen, als wäre sie deren Leibmagd. Gleichzeitig hatte sie dafür gesorgt, dass ihre Gefangene diesmal keine Gelegenheit zur Flucht fand. Kunigunde von Banzenheim hatte nur einmal nicht Acht gegeben, und das war ihr zum Schlechten ausgeschlagen. Daher bliebMarga auf der Hut. Sie hielt Marie Adlerin auch jetzt noch für fähig, auf geheimnisvolle Weise zu verschwinden, und ignorierte deren Bitte. Sie setzte sich neben die Tür und malte sich aus, wie es in einigen Stunden sein würde, wenn sie keine Rücksicht mehr auf diese Metze nehmen musste. War das Kind erst auf der Welt, würden Erwin Tautacher, der Hauptmann von Frau Huldas Wachen, und sein Stellvertreter Xander mit Marie so verfahren, wie sie es mit jener Magd getan hatten, die danach spurlos verschwunden war.
    Marie nahm wahr, wie die muffige Stimmung ihrer Bewacherin allmählich einer angespannten Zufriedenheit Platz machte, und fragte sich, wie lange sie die Geburt ihres Kindes überleben würde. Ihre Gedanken glitten zu Michel, den sie schmerzlich vermisste. Nach ihrem Wiedersehen in Böhmen waren ihnen nur wenige Monate gemeinsamen Glücks vergönnt gewesen, und sie haderte wie schon so oft mit sich, weil sie die Reise zu Hiltrud nicht aufgeschoben hatte, bis ihr Kind geboren worden war und alt genug, um von einer Kindsmagd versorgt zu werden. Michi hätte sie auch mit ein paar bewaffneten Begleitern nach Rheinsobern schicken können.
    Die nächste, weit stärkere Wehe raste durch ihren Körper und diesmal vermochte sie sich nicht mehr zu beherrschen. Ein Schrei brach von ihren Lippen und ließ Marga zusammenzucken.
    Die frühere Wirtschafterin grinste höhnisch. »Warum schreist du? Als dein Mann auf dir lag, um dir das Kind hineinzuschieben, hast du doch wohl vor Lust gestöhnt!«
    Aus Margas Stimme sprach Neid. In ihrer Jugend war ihr keiner der Knechte, die ihr den Hof gemacht hatten, gut genug gewesen, und von den hohen Herren hatte sich niemand für sie interessiert. Später war sie so von ihrer Würde als Wirtschafterin auf der Sobernburg durchdrungen gewesen, dass sie sich keinem niederrangigen Mann hatte hingeben wollen, und so war sie zu eineralten Jungfer geworden, die niemals körperliche Liebe kennen gelernt hatte. Dennoch war dies nicht die erste Geburt, bei der sie zugegen war. In Rheinsobern hatte sie oft genug zugesehen, wie eine der Mägde, die dumm genug gewesen war, sich schwängern zu lassen, ihren Bankert in die Welt gesetzt hatte. So wusste sie auch jetzt die Zeichen zu deuten und ging zur Tür. Auf ihr Klopfen öffnete einer der Reisigen, die Wache hielten.
    »Geh zur Herrin und sage ihr, dass die Hure bald so weit ist!«
    Der Mann nickte, schloss die Tür und schob wie immer den Riegel vor, als fürchte er, sein Kamerad reiche nicht aus, die Gebärende zu bewachen. Marga kehrte zu Marie zurück und blickte mitleidlos auf deren verzerrtes, schweißüberströmtes Gesicht.
    Die nächste Schmerzwelle durchfuhr Maries Körper. Verzweifelt fragte sie sich, weshalb die zweite Geburt nicht leichter war als die erste. Alle Frauen, die sie kannte, hatten ihr prophezeit, ab dem zweiten Kind würde es erträglicher. Doch ihre Qualen waren noch schlimmer als bei der ersten Niederkunft, und diesmal gab es keine Hiltrud, die sie beschützen und sich um sie kümmern konnte.
    Ein weiterer Schrei hallte durch die Turmkammer. Frau Hulda, die eben durch die Tür trat, zuckte zuerst zusammen, lachte dann aber höhnisch auf. Marie war jedoch so in den Schmerzwellen gefangen, dass sie Ritter Falkos Witwe nicht erkannte. Hinter Hulda schoben sich deren Lieblingsmägde Alke und Beate in den Raum. Letztere trug den Säugling, den ihre Herrin vor einigen Wochen geboren hatte und der auch jetzt kaum größer war als ein Neugeborenes.
    Hulda sah auf Maries entblößten Unterleib herab und erkannte die Zeichen, die auf eine schwere Geburt hindeuteten. »Helft ihr! Das Kind muss leben«, fuhr sie ihre Mägde an.
    Beate legte den Säugling, der jämmerlich zu greinen begann, in eine Ecke und beugte sich über Marie. Da die Hebamme aufHettenheim zu alt gewesen war, um die Reise zur

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